Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
ist wie Nachtauge und ich, bekommt das Verhältnis eine andere Dimension. Mehr als Gefühle, doch niemals Worte. Ich bin mir des Tieres stärker bewußt, in dem mein Bewußtsein existiert. Er ist sich stärker bewußt zu...«
Ich denke. An die Folgen einer Handlung, an das, was dem Entschluß zu handeln vorausging. Man wird sich bewußt, daß man ständig Entscheidungen trifft und überlegt, welches die besten sind.
Genau. Ich faßte seine Gedanken für Krähe in Worte, während Nachtauge begann, sein Aufwachritual zu zelebrieren. Er reckte und streckte sich, dann setzte er sich hin und schaute Krähe mit schief geneigtem Kopf an.
»Ich verstehe«, sagte sie schwach. »Ich verstehe.« Damit erhob sie sich und ging hinaus.
Merle stand auf und gähnte. »Ich werde ihm von nun an mit dem gebührenden Respekt die Ohren kraulen.«
Der Narr kicherte dazu, setzte sich in seinen Decken auf und machte sich umgehend daran, das Ohrenkraulen unter diesem neuen Aspekt auszuprobieren. Der Wolf ließ sich voller Wonne auf ihn fallen. Ich knurrte sie beide an und rührte die Grütze in das kochende Wasser.
Es dauerte eine Weile, bis wir an diesem Morgen soweit waren, unseren Weg fortzusetzen. Auf allem lag eine dicke Schicht aus pappigem Schnee, und das Abbrechen des Lagers entwickelte sich zu einer mühsamen und langwierigen Angelegenheit. Wir zerlegten, was von dem Schwein übrig war, und nahmen es mit. Die Jeppas wurden zusammengetrieben. Trotz des Unwetters waren sie dicht beim Lager geblieben. Das Geheimnis dieser Anhänglichkeit schien sich in dem Beutel mit süßem Getreide zu befinden, mit dem Kettricken das Leittier bei Laune hielt. Als wir alles aufgeladen hatten und endlich zum Abmarsch bereit waren, ordnete Kettricken an, daß ich neben der Straße gehen müßte und immer in Begleitung. Ich erhob leisen Widerspruch, aber man beachtete mich nicht. Der Narr meldete sich freiwillig, mein erster Hüter zu sein. Merle lächelte seltsam dazu und schüttelte den Kopf. Ich ertrug ihren Spott mit mannhafter Gelassenheit, aber auch das wurde ignoriert.
Innerhalb kurzer Zeit zogen die Frauen und Jeppas gemächlich die Straße entlang, während der Narr und ich auf der Berme entlangstolperten. Krähe drehte sich um und schüttelte ihren Wanderstock. »Das ist zu nah!« schimpfte sie. »Haltet soviel Abstand, daß ihr uns gerade noch sehen könnt. Fort mit euch! Fort, fort!«
Gehorsam zogen wir uns tiefer in den Wald zurück. Sobald wir außer Sichtweite der anderen waren, wandte sich der Narr mir zu und wiederholte die Frage, die er mir vor einigen Tagen schon einmal gestellt hatte: »Wer ist Krähe?«
»Ich weiß über sie auch nicht mehr als du«, fertigte ich ihn bündig ab und erkundigte mich meinerseits: »Was ist zwischen dir und Merle?«
Er lupfte die Augenbrauen und zwinkerte vielsagend.
»Das bezweifle ich entschieden.«
»Oh, nicht jeder ist so unempfänglich für meinen Charme wie du, mein Herzensfitz. Was soll ich dir sagen? Sie sehnt sich nach mir, sie verzehrt sich nach mir, aber sie weiß nicht, wie sie es zeigen soll, das arme Ding.«
Recht geschah mir! Ich kehrte zu seiner Frage zurück. »Was meinst du damit: ›Wer ist Krähe‹?«
Er warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Das ist wahrhaftig nicht übermäßig kompliziert, Prinzlein. Wer ist diese Frau, die so genau weiß, was dich quält, die plötzlich aus einer Tasche ein Spiel hervorholt, das ich nur einmal in einer uralten Schriftrolle erwähnt gefunden habe, die für uns ›Kamen sechs weise Männer nach Jhaampe gegangen‹ singt, mit zwei zusätzlichen Strophen, die mir völlig unbekannt sind? Wer, o Licht meines Lebens, ist Krähe, und aus welchem Grund sollte sie auf ihre alten Tage mit uns in den Bergen herumkraxeln?«
»Du bist ja heute morgen bester Laune«, bemerkte ich vergrätzt.
»Ja, nicht wahr?« stimmte er mir zu. »Und du bist fast so geschickt wie ich darin, unliebsamen Fragen auszuweichen. Du mußt dir doch selbst einige Gedanken über dieses Rätsel gemacht haben, die du vielleicht mit einem armen Narren teilen möchtest?«
»Sie hat mir nicht genug von sich erzählt, um daraufhin Mutmaßungen anstellen zu können.«
»Hm. Was gäbe es denn über jemanden zu mutmaßen, der seine Zunge so gut im Zaum hält? Und über jemanden, der sich scheinbar auch mit der Gabe auskennt? Und das alte Spiel aus den Marken und die alten Verse? Auf welches Alter schätzt du sie?«
Ich zuckte die Schultern, aber plötzlich fiel mir etwas ein.
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