Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
eigene Mutter ihn gerufen hatte, empfände ich eine gewisse Scheu davor, bei anderen Menschen in diesem Punkt zu wißbegierig zu sein. Das brachte sie für eine Weile zum Schweigen, dann aber erkundigte sie sich, wie er als Kind gekleidet gewesen sei. Meine Beschreibung seiner mit den Jahreszeiten wechselnden Narrentracht befriedigte sie nicht, doch ich konnte ihr nur wahrheitsgemäß versichern, daß ich ihn vor Jhaampe nie in etwas anderem als in seinem Kostüm gesehen hatte. Gegen Abend hatten ihre Fragen und meine Antworten mehr Ähnlichkeit mit einem freundschaftlichen Duell als mit einer Unterhaltung. Ich war froh, als wir schließlich das Lager erreichten, das die anderen in gehöriger Entfernung von der Straße aufgeschlagen hatten.
Dessenungeachtet sorgte Krähe dafür, daß ich beschäftigt war, und ließ mich neben meiner eigenen Arbeit auch die ihre tun, damit ich keine Zeit hatte, Grillen zu fangen. Der Narr brutzelte aus unseren Vorräten und dem Schweinefleisch ein durchaus genießbares Gulasch zusammen, während der Wolf sich mit einer weiteren Keule zufriedengab. Nach dem Essen holte Krähe sofort das Spieltuch und den Beutel mit Steinen. »Nun werden wir sehen, was du gelernt hast«, versprach sie.
Doch nach einem halben Dutzend Partien blickte sie stirnrunzelnd zu mir auf. »Du hast nicht gelogen!« stellte sie fest.
»Gelogen?«
»Daß der Wolf auf die Lösung verfallen ist. Hättest du die Strategie durchschaut, würdest du jetzt anders spielen. Weil aber ein anderer dir die Lösung gegeben hat, statt daß du selbst darauf gekommen bist, tappst du immer noch im Dunkeln.«
In diesem Augenblick erhob sich der Wolf und reckte die Glieder. Ich habe genug von Steinen und Tuch, ließ er mich wissen. Zu jagen macht mehr Spaß, und am Ende wird man mit wirklichem Fleisch belohnt.
Dann bist du hungrig?
Nein. Gelangweilt. Er stieß mit der Schnauze die Zeltklappe auf und schlüpfte hinaus in die Nacht.
Krähe schaute ihm mit geschürzten Lippen hinterher. »Gerade wollte ich dich fragen, ob ihr euch nicht zusammentun könntet. Ich hätte gerne gesehen, wie ihr spielt.«
»Wahrscheinlich hat er deine Absicht geahnt«, brummte ich verärgert, weil er mich nicht aufgefordert hatte, ihn zu begleiten.
Fünf Spiele darauf begriff ich die brillante Einfachheit von Nachtauges Schlingentaktik. Ich hatte es die ganze Zeit vor Augen gehabt, aber plötzlich sah ich die Steine in Bewegung, statt auf den Schnittpunkten der Linien auf dem Tuch liegen. Bei meinem nächsten Zug setzte ich die neugewonnene Erkenntnis um und gewann. Ich gewann auch die nächsten drei Spiele ohne Mühe, weil ich nun in der Lage war, sie auch in der umgekehrten Situation anzuwenden.
Nach dem dritten Sieg räumte Krähe die Steine von dem Tuch. Um uns lagen die anderen bereits in tiefem Schlaf. Krähe warf eine Handvoll Zweige in die Schale, damit es noch einmal für einige Minuten hell wurde. Flink legten ihre knochigen Finger die Steine aus. »Wieder ist dies dein Spiel und du bist am Zug«, erklärte sie. »Aber diesmal steht dir nur ein weißer Stein zur Verfügung. Ein kleiner, schwacher weißer Stein, doch er kann dir den Sieg bringen. Du mußt scharf überlegen. Und laß dir nicht wieder von dem Wolf helfen.«
Ich starrte auf die Anordnung der Steine, um mir die Spielsituation einzuprägen, und legte mich dann zum Schlafen hin. Das Spiel, das sie für mich aufgebaut hatte, sah hoffnungslos aus. Ich entdeckte keine Möglichkeit, mit Schwarz zu gewinnen, geschweige denn mit einem weißen Stein. Ob es nun an dem Spiel lag oder an der Entfernung von der Straße, auf jeden Fall sank ich bald in einen Schlaf, der bis zum Morgen traumlos blieb. Dann gesellte ich mich zu meinem Wolf, der weit vom Lager entfernt durch die winterliche Bergwildnis streifte. Wir stießen auf zwei Schneekatzen bei ihrer Beute, und eine Zeitlang machte er sich einen Spaß daraus, sie in einem Abstand zu umkreisen, so daß sie murrten und uns anfauchten. Doch sie ließen sich nicht von ihrer Mahlzeit weglocken, und schließlich gaben wir das Spiel auf, um zur Jurte zurückzukehren. Dort angelangt, schlichen wir um die Jeppas herum, bis sie sich ängstlich zu einem Pulk zusammendrängten und schließlich in heller Aufregung durcheinanderquirlten. Ich war noch bei ihm, als Nachtauge sich durch die Zeltklappe schob und den Narren mit seiner eiskalten Nase anstieß.
Es tut gut zu sehen, daß du noch nicht allen Sinn für Spaß verloren hast, meinte er zu mir,
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