Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
wollten. Es war wie beim Feilschen mit ausländischen Händlern, gestikulieren, die Stirn runzeln oder lächeln und raten, immer raten, was der andere wirklich meint.
    »Still, bitte«, sagte ich. »Seid bitte still!« Ich wollte nur, daß sie ruhig waren, aufhörten mit dem Plappern und Lärmen, aber das Geräusch der von mir ausgesprochenen Worte fesselte meine Aufmerksamkeit. »Bitte«, wiederholte ich und staunte über die vielerlei Bewegungen, die mein Mund ausführen mußte, um diesen unzulänglichen Laut hervorzubringen. »Still!« sagte ich noch einmal langsam vor mich hin und erkannte, daß das Wort zu viele Bedeutungen hatte, um wirklich etwas zu bedeuten.
    Einmal, ich war gerade erst in Burrichs Obhut gegeben worden, hatte er mir aufgetragen, ein Gespann auszuschirren. Es war in der Anfangszeit gewesen, als wir noch nicht wußten, was wir voneinander zu halten hatten, und keine Aufgabe, die ein verständiger Mensch einem Knaben stellen würde. Doch ich hatte mich frisch ans Werk gemacht, war auf den geduldigen Tieren herumgeklettert und hatte jede schimmernde Schnalle und Schließe gelöst, bis das Geschirr in Einzelteilen am Boden lag. Als er kam, um nachzusehen, was ich so lange trieb, stand Burrich sprachlos vor der Bescherung, ohne jedoch bestreiten zu können, daß ich getan hatte, was mir gesagt worden war. Was mich anging, ich staunte, aus wieviel Teilen etwas bestand, das wie ein Ganzes ausgesehen hatte.
    Genauso erging es mir jetzt. So viele Laute, um ein Wort zu bilden, so viele Worte, um einen Gedanken zu formulieren – nie zuvor hatte ich mir darüber Gedanken gemacht. Ich stand vor ihnen, so durchtränkt von der Essenz der Gabe in dieser Straße, daß zu sprechen mir ebenso primitiv vorkam, wie Haferbrei mit den Fingern zu essen. Worte waren langsam und ungenau, verschleierten ebensoviel an Bedeutung, wie sie vermittelten. »Fitz, bitte, du mußt...«, sagte Kettricken, und ich war so sehr davon in Anspruch genommen, jede mögliche Bedeutung dieser vier Worte auszuloten, daß ich nicht hörte, was sie weiter noch sagte.
    Der Narr griff nach meiner Hand und geleitete mich in die Jurte. Er brachte mich dazu, daß ich mich hinsetzte, zog mir die Mütze und die Fäustlinge und den Übermantel aus; dann drückte er mir stumm einen heißen Becher Tee in die Hände. Das konnte ich verstehen, aber das hastige, aufgeregte Sprechen der anderen untereinander gemahnte mich an das verstörte Gackern aufgescheuchter Hühner. Der Wolf legte sich neben mir hin und bettete seinen Kopf auf meinen Oberschenkel. Ich streichelte seine breite Stirn und spielte mit den weichen Ohren. Er drückte sich fester gegen mich, wie als wortlose Aufforderung, und ich kraulte ihn hinter den Ohren, weil ich dachte, das wolle er vielleicht. Es war furchtbar, nur raten zu können.
    An diesem Abend war ich keine große Hilfe. Ich versuchte, meinen Anteil an den Arbeiten zu übernehmen, aber die anderen ließen es nicht zu. Etliche Male wurde ich von Krähe gekniffen oder angestoßen und angeblafft: »Wach auf!« Bei einer Gelegenheit war ich so fasziniert von den Bewegungen ihrer Lippen beim Sprechen, daß ich nicht merkte, wie sie sich abwandte und wegging. Ich kann mich nicht entsinnen, was ich gerade tat, als ihre knochige Hand meinen Nacken umklammerte. Sie drückte meinen Kopf nach vorn und hielt ihn fest, während sie nacheinander auf jeden Stein auf dem Spieltuch deutete. Sie gab mir einen schwarzen Stein in die Hand. Eine Weile starrte ich nur auf das Tuch mit dem Linienmuster, dann erfuhr ich plötzlich diese Veränderung in der Wahrnehmung, und es gab keinen Abstand mehr zwischen mir und dem Spiel. Ich versuchte, von verschiedenen Positionen aus zu gewinnen. Schließlich fand ich den perfekten Zug, und als ich meinen Stein auf den Vertex setzte, war es, als hätte jemand einen Schleier zwischen mir und der Welt beiseite gezogen. Ich hob den Blick und musterte meine Reisegefährten.
    »Es tut mir leid«, sagte ich bedrückt. »Es tut mir leid.«
    »Besser jetzt?« erkundigte sich Krähe behutsam. Sie sprach zu mir, als wäre ich ein kleines Kind.
    »Ich bin fast wieder ich selbst.« Von plötzlicher Verzweiflung ergriffen, schaute ich ihr ins Gesicht. »Was ist mit mir geschehen?«
    »Die Gabe«, antwortete sie kurz. »Du bist einfach nicht stark genug. Um ein Haar wärst du der Straße dorthin gefolgt, wo seit langem keine Straße mehr ist. An einer Art Wegweiser dort hat sich die Straße früher einmal gegabelt –

Weitere Kostenlose Bücher