Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
eine Abzweigung führte hinunter ins Tal, die andere weiter den Berg hinauf. Der Pfad zum Dorf endet jetzt im Nichts, von einem Bergrutsch weggerissen. Unten gibt es nur einen großen Geröllhaufen, aber man kann erkennen, wo der Weg wieder zum Vorschein kommt und in der Ferne in einem weiteren Trümmerfeld verschwindet. Veritas kann unmöglich diese Richtung eingeschlagen haben, aber du wärst fast der Erinnerung in den Tod gefolgt.« Sie verstummte und schaute mich ernst an. »Zu meiner Zeit... Du bist nicht gründlich genug in der Gabe unterwiesen, um zu tun, was du getan hast, geschweige denn, um dieser Herausforderung gewachsen zu sein. Wenn das alles ist, was man dich gelehrt hat... Bist du sicher, daß Veritas lebt?« fragte sie plötzlich in zweifelndem Ton. »Daß er, allein auf sich angewiesen, die Prüfung gemeistert hat?«
Ich beschloß, daß einer von uns ein Ende machen mußte mit der Geheimniskrämerei. »Ich habe ihn gesehen, in einem Gabentraum. In einer Stadt voller Menschen, wie sie uns heute auch begegnet sind. Er tauchte seine Hände und Arme in einen magischen Fluß und ging davon, erfüllt von großer Macht.«
»Gott der Fische!« flüsterte Krähe. Entsetzen und Ehrfurcht spiegelten sich auf ihrem Gesicht.
»Wir sind heute keinem einzigen Menschen begegnet«, wandte Merle ein. Erst als sie sprach, fiel mir auf, daß sie sich neben mich gesetzt hatte. Ich zuckte zusammen. Wie war es möglich, daß jemand mir so nahe kommen konnte, und ich merkte es nicht?
»Jeder, der auf dieser Straße gegangen ist, hat etwas von seiner Aura zurückgelassen. Eure Sinne vermögen dergleichen nicht wahrzunehmen, aber Fitz ist für diese Einflüsse empfänglich und ihnen schutzlos ausgeliefert.« Krähe lehnte sich mit dem Rücken gegen ihr zusammengerolltes Bettzeug, und die Falten in ihrem Gesicht vertieften sich. »Wie kann ein tumber Tor wie er der Katalysator sein?« fragte sie, ohne von jemandem eine Antwort zu erwarten. »Du weißt nicht einmal, wie du dich selbst vor Schaden bewahren sollst. Wie könntest du imstande sein, die Welt zu retten?«
Der Narr beugte sich von seinem Platz zu mir hinüber und griff nach meiner Hand. Etwas wie Kraft ging von der Berührung auf mich über. »Von großer Weisheit und Heldenmut war in den Prophezeiungen nie die Rede. Nur von Beharrlichkeit. Was sagt dein Weißer Obelisk? ›Sie fallen gleich Regentropfen auf die steinernen Türme der Zeit, doch wisse, es ist immer der Regen, der überdauert, nicht der Turm.‹« Er drückte aufmunternd meine Hand.
»Deine Finger sind wie Eis«, sagte ich, als er mich losließ.
»Nicht nur meine Finger.« Er zog die Knie an und schlang die Arme darum. »Ich bin durchgefroren bis ins Mark. Durchgefroren und müde. Aber beharrlich.«
Als ich den Blick hob, sah ich das wissende Lächeln auf Merles Gesicht. Ich hätte sie schütteln mögen! »Ich habe Elfenrinde in meinem Packen«, sagte ich zu dem Narren. »Sie spendet sowohl Wärme als auch Kraft.«
»Elfenrinde.« Kettricken verzog angewidert das Gesicht, doch nach kurzem Überlegen meinte sie mit plötzlicher Lebhaftigkeit: »Genaugenommen ist das gar kein schlechter Einfall. Ja. Elfenrindentee.«
Als ich das Päckchen mit der Droge aus meinem Bündel nahm, riß Krähe es mir aus der Hand, als könnte ich mich daran schneiden. Vor sich hin murmelnd, gab sie kleine Mengen in die für uns bestimmten Becher. »Ich habe gesehen, wie verschwenderisch du damit umgehst«, sagte sie tadelnd zu mir und goß eigenhändig das kochende Wasser auf. In den Tee, den sie für Kettricken, Merle und sich selbst aufbrühte, tat sie nichts von der Rinde.
Ich nippte an dem dampfenden Gebräu, spürte erst den bitteren Geschmack auf der Zunge und dann die Wärme in meinem Bauch, die sich von dort langsam und befreiend in meinem ganzen Körper ausbreitete. Ich beobachtete den Narren und sah, wie seine verkrampfte Haltung sich löste und ein Funkeln in seine Augen trat.
Kettricken hatte die Karte auf den Knien liegen und studierte sie mit gerunzelter Stirn. »FitzChivalric, ich möchte, daß du dir etwas ansiehst«, sagte sie plötzlich. Ich schob mich um das Glutbecken herum und auf den Platz neben ihr.
Sie tippte mit dem Finger auf die erste Gabelung der Straße. »Veritas sagte, er wolle zu allen drei Punkten gehen, die auf der Karte verzeichnet sind. Ich glaube, als diese Karte angefertigt wurde, existierte die Straße noch, der du heute abend beinahe gefolgt wärst. Jetzt gibt es sie nicht
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