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Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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war, als hätte das Bild eine Bedeutung, die mir verborgen blieb. Endlich wandte ich mich davon ab, um den Raum zu betrachten, in dem ich mich befand.
    Dieses Stockwerk war heller als die unteren. Es bestand nur aus einem großen, offenen Gemach, allerdings erheblich kleiner als das Untergeschoß. Schmale, hohe Fenster aus hellem Glas wechselten sich ab mit Wandgemälden, die Schlachten und ländliche Idyllen darstellten. Ich hätte gerne einen genaueren Blick darauf geworfen, doch entschlossen lenkte ich meine Schritte zu einer engen Wendeltreppe, von der ich hoffte, daß sie in den Turm hineinführte, den ich von außen gesehen hatte. Die Geister schienen hier oben weniger zahlreich zu sein.
    Der Aufstieg war länger und steiler als erwartet. Bevor ich oben ankam, hatte ich sowohl meinen Mantel als auch mein Hemd geöffnet. Das Licht stammte von Fenstern, die kaum breiter waren als Schießscharten. An einem stand eine junge Frau und schaute auf die Stadt hinunter, einen Ausdruck von Hoffnungslosigkeit in den lavendelfarbenen Augen. Sie wirkte so real, daß ich mich entschuldigte, als ich hinter ihr vorbeiging. Die Treppe bestand aus mehreren Läufen. An jedem Absatz zweigten Türen ab, doch sie waren verschlossen. Die Zeit schien hier oben gnädiger gewesen zu sein. In der trockeneren Luft waren das Holz und das Metall der Schlösser weitgehend vor dem Verfall bewahrt geblieben. Ich fragte mich, was sich dahinter befinden mochte. Funkelnde Schätze? Uraltes Wissen? Modernde Knochen? Keine gab nach, als ich daran rüttelte, und im Weitergehen hoffte ich, oben angekommen nicht ebenfalls vor einer verschlossenen Tür zu stehen.
    Die ganze Stadt war mir ein Rätsel. Das wimmelnde Phantomleben, das sie erfüllte, stand in unerklärlichem Widerspruch zu ihrer Verlassenheit heute. Ich hatte nirgends Spuren von Kämpfen gesehen. Die einzigen gewaltsamen Zerstörungen schienen von Unruhen in den Eingeweiden der Erde angerichtet worden zu sein. Diese verschlossenen Türen – niemand schließt eine Tür ab, wenn er nicht vorhat wiederzukommen. Wohin waren sie gegangen, die Bürger dieser Stadt, die hier als Geister spukten? Weshalb war diese Stadt am Fluß verlassen worden und wann? War dies die Heimat der Uralten gewesen? Waren sie die Drachen, die ich unten an der Mauer gesehen hatte und in dem Bilderfenster? Manche Menschen lieben die Herausforderung, aus ungeordneten Einzelteilen ein Ganzes zusammenzustückeln; aber mir verursachte es nur hämmernde Kopfschmerzen als Ergänzung des nagenden Hungers, der sich seit Tagesanbruch immer fordernder bemerkbar machte.
    Zu guter Letzt trat ich tatsächlich ins obere Turmgemach. Es war rund mit einem Kuppeldach. Die Wände des Raums setzten sich aus sechzehn Feldern zusammen, acht waren aus dickem Glas, blind unter einer streifigen Schmutzschicht. Eins war zerbrochen; die Scherben lagen sowohl auf dem Boden als auch draußen auf dem schmalen Sims, der um den Turm herumführte. Ein großer, runder Tisch hatte einst das Gemach beherrscht; wo jetzt nur noch Trümmer lagen, standen zwei Männer und drei Frauen, alle mit Zeigestöcken bewaffnet, wiesen auf den Schattentisch und diskutierten hitzig über etwas. Einer der Männer schien ziemlich ärgerlich zu sein. Ich ging um den Tisch und die Phantombürokraten herum. Eine schmale Tür ermöglichte es, auf den Sims hinauszutreten. Er hatte ein Geländer aus Holz, aber ich traute ihm nicht, sondern unternahm einen langsamen Rundgang um den Turm, gefangen zwischen Staunen und der Angst zu fallen. Im Süden öffnete sich ein weites Flußtal meinen Blicken, abgeschlossen von einem Saum dunkelblauer Berge, die den fahlen Winterhimmel stützten. Der Fluß wand sich einer fetten, trägen Schlange gleich im Vordergrund durch das Tal. In der Ferne entdeckte ich weitere Ortschaften an seinen Ufern. Hinter ihm erstreckte sich die grüne, flache Senke, dicht bewaldet oder betupft mit Gehöften und Landgütern, je nachdem wie ich den Kopf schüttelte, um die Phantome zu verjagen. Ich sah eine breite schwarze Brücke, die den Fluß überspannte, und dahinter die Straße, die wieder von der Stadt fortführte. Wohin wohl? Für einen flüchtigen Augenblick sah ich in weiter Ferne Türme leuchten. Ich verdrängte die Geister aus meinem Bewußtsein und erblickte statt dessen einen See, von dessen Oberfläche im Wintersonnenschein Dunstschwaden aufstiegen. War Veritas irgendwo dort draußen?
    Ich ließ den Blick weiterwandern, nach Südosten, und was ich

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