Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Zeit in Anspruch. Zwei Decken und ein Umhang, Kleidung zum Wechseln, allerdings warme Sachen aus Wolle, schlecht geeignet für Reisen im Sommer. Eine Bürste. Messer und Wetzstein. Feuerstein. Eine Schleuder. Mehrere gegerbte Häute von Wild, das wir erlegt hatten. Schnur aus Sehnen. Ein Handbeil. Ein kleiner Kessel und mehrere Löffel, letztere von Burrich geschnitzt. An Proviant hatte ich je einen kleinen Beutel Hafergrütze und Weizenmehl. Den Rest Honig. Eine Flasche Holunderbeerwein.
Nicht viel, um ein Unterfangen wie dieses in Angriff zu nehmen. Bevor ich in Burg Fierant meine Rachepläne in die Tat umsetzen konnte, mußte ich erst die lange Reise dorthin wohlbehalten überstehen. Ich überlegte. Noch hatten wir Anfang Sommer. Mir blieb reichlich Zeit, um Kräuter zu sammeln und zu trocknen, Fisch und Fleisch zu räuchern. Hungern brauchte ich also nicht. Fürs erste besaß ich Kleidung und das Nötigste an Ausrüstung, doch irgendwann würde ich Bargeld brauchen. Ich hatte vor Chade und Burrich geprahlt, daß ich mich aus eigener Kraft durchschlagen könnte. Immerhin verstand ich etwas von Tieren und von der Kunst des Schreibens. Vielleicht brachten diese Fähigkeiten mich bis Fierant.
Als FitzChivalric hätte ich es leichter gehabt. Ich kannte den einen oder anderen Flußschiffer und hätte mir die Passage nach Fierant verdienen können. Aber FitzChivalric war gestorben. Er konnte schlecht an den Docks nach Arbeit fragen. Ich durfte mich dort noch nicht einmal blicken lassen, wegen der Gefahr, erkannt zu werden. Wirklich? Was hatte Burrichs Spiegel mir gezeigt? Eine weiße Haarsträhne entlang dem Riß in meiner Kopfhaut. Ich befühlte die neue Form meiner Nase, die Narbe an meiner rechten Wange, unterhalb des Auges, wo Edels Faust mir die Haut aufgerissen hatte. Niemand kannte einen Fitz mit solchen Narben. Ich konnte mir einen Bart wachsen lassen. Und wenn ich mir den Haaransatz rasierte, wie es die Schreiber taten, genügte das vielleicht, um in der Menge unerkannt zu bleiben. Menschen, die mich gekannt hatten, ging ich besser aus dem Weg.
Wie es aussah, blieb mir nichts anderes übrig, als zu marschieren. Ich hatte noch nie eine lange Reise zu Fuß unternommen.
Warum können wir nicht einfach hierbleiben? Eine schläfrige Frage von Nachtauge, Fische im Bach, Wild in den Wäldern hinter der Hütte. Was brauchen wir mehr? Weshalb müssen wir fortgehen?
Ich muß gehen. Ich muß es tun, um wieder ein Mensch zu sein.
Du hast wirklich den Wunsch, wieder ein Mensch zu sein? Ich spürte seine Verständnislosigkeit, doch auch seine Bereitschaft, mich gewähren zu lassen. Ohne aufzustehen, streckte er sich genußvoll und spreizte die Zehen seiner Vorderpfoten. Wohin gehen wir?
Nach Burg Fierant, zu Edel. Eine weite Reise flußaufwärts.
Gibt es Wölfe dort?
Nicht in der Stadt. Aber es gibt Wölfe in Farrow. Auch in den Marken gibt es noch Wölfe. Nur nicht in dieser Gegend.
Außer uns beiden, berichtigte er mich und fügte hinzu: Ich möchte gerne Wölfe finden an dem Ort, wohin wir gehen.
Damit rollte er sich auf die Seite und schlief wieder ein. Das war Teil der Wolfsnatur, überlegte ich. Er verschwendete keinen Gedanken an das Bevorstehende, und wenn der Zeitpunkt des Aufbruchs gekommen war, würde er mir unbekümmert folgen und für sein Überleben auf unsere Fähigkeiten vertrauen.
Ich aber war inzwischen wieder zu sehr Mensch geworden, um seinem Beispiel zu folgen. Trotz Nachtauges Mißbilligung jagte ich mehr, als wir jeden Tag zum Sattwerden brauchten. Und wenn wir Beute machten, ließ ich ihn nicht nach Herzenslust fressen, sondern räucherte oder trocknete einen Teil des Fleisches. Nach dem Flicken von Bergen von ausgebessertem Zaumzeug unter Burrichs scharfem Auge besaß ich ausreichend Geschick mit Leder und Ahle, um mir weiche Stiefel für den Sommer anzufertigen. Meine alten Stiefel packte ich gut gefettet für den Winter ein.
Tagsüber, während Nachtauge in der Sonne döste, sammelte ich Kräuter. Bei einigen handelte es sich um die gebräuchlichen Heilkräuter für meine Reiseapotheke: Weidenrinde gegen Fieber, Himbeerwurzel gegen Husten, Wegerich zur Wundheilung, Nesseln gegen Blutandrang. Andere waren nicht so wohltätig. Ich baute mir einen kleinen Holzkasten für die Gifte, die ich sammelte und präparierte, wie Chade es mich gelehrt hatte: Wasserschierling, Knollenblätterpilz, Nachtschatten, Holundermark, Christophskraut, Stiefmütterchen. Soweit möglich, entschied ich mich
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