Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Kleidung. Alles war steif vor Dreck und altem Blut, und meine Hose hing unterhalb der Knie in Fetzen. Schaudernd erinnerte ich mich an die Entfremdeten und ihre verlotterten Lumpen. Was war aus mir geworden? Ich zog meinen Hemdausschnitt nach vorn und wandte vor meinem eigenen Geruch das Gesicht zur Seite. Wölfe hatten mehr Sinn für Sauberkeit. Nachtauge betrieb täglich Körperpflege.
Ich sprach es laut aus, und die Heiserkeit meiner des Sprechens entwöhnten Stimme verlieh den Worten zusätzliches Gewicht. »Nach Burrichs Weggang bin ich tiefer gesunken als ein Tier. Alles vergessen – Zeitgefühl, Sauberkeit, Pläne, kein Gedanke an etwas anderes als Essen und Trinken. Davor hat er mich all die Jahre zu warnen versucht. Es ist genau so gekommen, wie er immer befürchtet hat.«
Ungeschickt entzündete ich ein Feuer. Ich ging mehrmals zwischen Bach und Hütte hin und her und machte soviel Wasser heiß wie möglich. Die Schafhirten hatten einen schweren Topf zum Auslassen von Fett dagelassen; sein Fassungsvermögen reichte aus, um einen hölzernen Trog draußen vor der Hütte halb zu füllen. Während das Wasser heiß wurde, sammelte ich Seifenkraut und Ackerschachtelhalm. Ich konnte mich nicht entsinnen, je so schmutzig gewesen zu sein. Das rauhe Zinnkraut scheuerte mit dem Schmutz mehrere Schichten Haut herunter, bevor ich mich endlich sauber fühlte. Im trüben Wasser schwammen mehr als nur ein paar Flöhe. Am Hals entdeckte ich eine Zecke, die ich mit einem glühenden Zweig ausbrannte. Das gewaschene Haar kämmte ich glatt und band es wieder im Nacken zusammen. Zu guter Letzt rasierte ich mich in dem Spiegel, den Burrich zurückgelassen hatte und musterte dann das Gesicht, das mir aus dem Glas entgegensah. Die obere Hälfte braungebrannt, die untere weiß.
Als ich noch mehr Wasser heißgemacht hatte und über den Trog gebückt meine Kleider einweichte und durchwalkte, begann ich Burrichs fanatische Sauberkeit zu begreifen. Die einzige Möglichkeit, von meiner Hose noch etwas zu retten, bestand darin, sie unter dem Knie umzusäumen, doch selbst dann war ihre Lebensdauer absehbar. Weil ich schon einmal dabei war, dehnte ich meinen Hausputz auf Bettzeug und Winterkleidung aus und wusch den muffigen Geruch heraus. Eine Maus hatte sich von meinem Umhang Polstermaterial für ihr Nest besorgt. Auch das besserte ich aus, so gut ich konnte. Als ich nasse Beinlinge zum Trocknen über einen Busch hängte und einmal aufblickte, sah ich Nachtauge, der mich beobachtete.
Du riechst wieder nach Mensch.
Ist das gut oder schlecht?
Besser, als zu riechen wie das Aas von letzter Woche. Nicht so gut wie zu riechen wie ein Wolf. Er erhob sich, streckte die Vorderbeine aus, senkte den Oberkörper zu Boden und spreizte die Zehen. So. Du willst also tatsächlich ein Mensch sein. Brechen wir bald auf?
Ja. Wir reisen nach Westen, den Bocksfluß hinauf.
Oh. Er nieste, dann ließ er sich auf die Seite fallen und rollte auf dem Rücken im Staub herum wie ein Welpe. Schließlich hatte er genug, sprang auf und schüttelte sich. Sein fatalistisches Hinnehmen meiner plötzlichen Entscheidung belastete mich. Welches Schicksal hatte ich ihm damit bereitet?
Die Dunkelheit brach herein, und jedes Kleidungsstück und alles Bettzeug war noch feucht. Nachtauge war allein auf die Jagd gegangen, und mit seiner Rückkehr brauchte ich nicht so bald zu rechnen. Der Mond war voll, der nächtliche Himmel klar – es würde viel Wild umherwandern. In der Hütte schürte ich das Feuer und buk aus dem letzten Hafermehl Fladenkuchen. Rüsselkäfer hatten das Weizenmehl verdorben, deshalb wollte ich lieber aufbrauchen, was noch zu verwenden war. Die einfachen Fladen mit dem Rest des gezuckerten Honigs aus dem Topf schmeckten unglaublich gut. Höchste Zeit, daß ich meinen Speiseplan erweiterte und mich anders ernährte als nur von Fleisch und einer Handvoll Grünzeug jeden Tag. Ich brühte mir einen Tee aus wilder Minze und frischen jungen Brennesselspitzen und labte mich an dem heißen Getränk.
Eine der Decken war so gut wie trocken. Ich breitete sie auf dem Boden aus, legte mich hin und schaute dösend ins Feuer. Ich spürte zu Nachtauge, doch er zog seine frischgeschlagene Beute und die weiche Erde unter einer Eiche am Waldrand meiner Gesellschaft vor. Ich war allein und so sehr Mensch wie seit Monaten nicht mehr. Gewöhnungsbedürftig, aber gut.
Erst als ich mich einmal herumdrehte und streckte, sah ich das Bündel auf dem Stuhl. Ich kannte jeden
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