Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
munter. »Ich marschiere lieber bei Nacht. Wir haben beinahe Vollmond, und mehr Licht braucht man nicht auf einer Straße, die so breit ist wie der Fernweg.«
»Hast du keine Angst vor Entfremdeten?« fragte Harfner Josh verwundert.
Nun war es an mir, überrascht zu sein. »Entfremdete? So weit landeinwärts?«
»Du mußt wirklich auf einem Baum gelebt haben!« rief Imme. »Sie machen alle Straßen unsicher. Manche Reisende heuern bewaffnete Begleiter an, Bogenschützen, Schwertkämpfer. Andere, wie wir zum Beispiel, reisen zu mehreren, wenn möglich, und nur bei Tag.«
»Sind die Patrouillen nicht in der Lage, sie in Schach zu halten?«
»Die Patrouillen?« Imme schniefte verächtlich. »Die meisten von uns würden lieber Entfremdeten in die Arme laufen als einem Haufen Farrowmännern mit Piken. Die Entfremdeten halten sich von ihnen fern, und deshalb lassen sie die Entfremdeten unbehelligt.«
»Auf wen haben sie es dann abgesehen?«
»Auf Schmuggler – angeblich.« Josh kam Imme mit der Antwort zuvor. »Das wollen sie zumindest glauben machen. Manch einen ehrsamen Reisenden halten sie an, um sein Gepäck zu durchsuchen, und nehmen sich, was ihnen ins Auge sticht. Nennen es Konterbande oder behaupten, es wäre in der letzten Stadt als gestohlen gemeldet worden. Mir scheint, Lord Vigilant bezahlt sie nicht so gut, wie sie glauben, es verdient zu haben, also bessern sie eigenmächtig ihren Sold auf.«
»Und Prinz... König Edel sieht tatenlos zu?« Wie schwer mir der Titel und die Frage über die Lippen gingen!
»Nun, wenn du dir die Mühe machen willst, bis Burg Fierant zu gehen, kannst du ans Tor klopfen und ihm deine Beschwerde selbst vortragen«, erklärte Imme sarkastisch. »Ich bin überzeugt, er wird dich anhören, wozu er sich bei den zwölf Abgesandten vor dir nicht herabzulassen geruhte.« Sie runzelte die Stirn. »Obwohl man hört, wenn Entfremdete so weit ins Landesinnere vordringen, daß er sich belästigt fühlt, hat er Mittel und Wege, sie sich vom Hals zu schaffen.«
Ich konnte es nicht fassen. König Listenreich hatte seinen Stolz darin gesetzt, daß Reisenden in den Marken so gut wie keine Gefahr von Wegelagerern drohte, jedenfalls nicht auf den Überlandstraßen. Jetzt hören zu müssen, daß Männer mit dem Auftrag, auf des Königs Straßen für Sicherheit zu sorgen, selbst kaum besser als Strauchdiebe waren, bescherte mir ein Gefühl, als drehte mir jemand ein Messer im Leib herum. Nicht genug damit, daß Edel den Thron usurpiert und dann Bocksburg verlassen hatte, um sich in Farrow, der Heimat seiner Mutter, ein schönes Leben zu machen, er bemühte sich nicht einmal, dem Anschein nach ein fürsorglicher Herrscher über sein Volk zu sein. Verstört fragte ich mich, ob er die ganzen Bocksmarken für ihren Mangel an Begeisterung bei seiner Thronbesteigung bestrafen wollte. Weshalb zweifeln, ich kannte ihn doch. »Nun, Entfremdete oder Farrowpatrouillen, ich werde mich trotzdem auf den Weg machen.« Ich trank meinen Krug leer und stellte ihn hin.
»Warum nicht wenigstens bis zum Morgen warten, Junge, und dann mit uns reisen?« schlug Josh aus heiterem Himmel vor. »Auch tagsüber geht es sich angenehm, denn vom Fluß her weht immer eine kühle Brise. Und zu vieren ist man heutzutage sicherer als zu dreien.«
Warum war es so viel schwerer, sich gegen Freundlichkeit zu behaupten als gegen Zwang? »Ich weiß dein Angebot zu schätzen...«, begann ich, aber Josh fiel mir ins Wort.
»Danke mir nicht, denn es war kein Angebot, sondern eine Bitte. Ich bin blind oder nahezu blind, wie du sicher bemerkt haben wirst. Ebensowenig wird dir entgangen sein, daß meine Begleiterinnen ansehnliche junge Frauen sind, obwohl ich vermute, nach Immes Sticheleien zu urteilen, daß du Melisma häufiger angelächelt hast als sie.«
»Vater!« Ein empörter Ausruf von Imme, den Josh mit einer Handbewegung abtat.
»Ich biete dir nicht den Schutz unserer Gruppe an, sondern bitte dich, uns deinen rechten Arm zu leihen. Wir sind nicht reich, wir haben kein Geld, um Beschützer zu dingen, und doch müssen wir trotz aller Gefahren reisen, um unser Brot zu verdienen.«
Joshs getrübte Augen suchten die meinen. Imme schaute mit zusammengepreßten Lippen zur Seite, während Melisma mich offen ansah, einen flehenden Ausdruck auf dem Gesicht. Ich senkte den Blick auf die Tischplatte. »Mir liegt das Kämpfen nicht«, bekannte ich unverhohlen.
»Wenigstens kannst du deinen Gegner sehen«, beharrte Josh. »Und gewiß
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