Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
hinter mir stand.
Sie zog mir eine Schnute, ganz und gar nicht eingeschüchtert von meinem schroffen Bescheid, aber Harfner Josh stellte seinen Krug mit deutlichem Nachdruck auf den Tisch. Er sagte nichts, wandte nur die blinden Augen in ihre Richtung, doch sie wurde sofort still und faltete die Hände auf der Tischkante wie ein gescholtenes Kind. Einen Augenblick lang hielt ich sie für eingeschüchtert, bis sie unter gesenkten Wimpern zu mir aufschaute. Ihre Augen funkelten, und das kleine Lächeln, das sie mir schenkte, strafte ihre zur Schau gestellte Bravheit Lügen. Ich wandte den Blick ab und fragte mich ratlos, was sie zu ihren dauernden Sticheleien veranlassen mochte. Melismas Gesicht war dunkelrot vor unterdrücktem Lachen; ich schaute auf meine Hände und fühlte, wie meine Wangen heiß wurden.
Um das Gespräch wieder in Gang zu bringen, fragte ich: »Gibt es sonst noch Neuigkeiten aus Bocksburg zu berichten?«
Harfner Josh stieß ein bellendes Lachen aus. »Immer dasselbe Elend, nur die Namen der Ortschaften und der Betroffenen ändern sich. Oh, da fällt mir doch noch etwas ein: Es geht die Rede, daß König Edel sich vorgenommen hat, den Narbenmann mit des Seilers Tochter zu verheiraten.«
Ich verschluckte mich an meinem Bier und hustete. »Was?«
»Ein dummer Scherz«, erklärte Imme. »König Edel läßt durch Herolde verkünden, er wird mit Gold jeden belohnen, der ihm einen bestimmten Mann übergibt, dessen Gesicht mit Pockennarben gezeichnet ist, und mit Silber jeden, der ihm einen Hinweis darauf geben kann, wo der Gesuchte sich aufhält.«
»Ein pockennarbiger Mann? Ist das die ganze Beschreibung?« fragte ich vorsichtig.
»Er soll mager und grauhaarig sein und die Angewohnheit haben, sich manchmal als Frau zu verkleiden.« Josh lachte vergnügt in sich hinein, ohne zu ahnen, wie mir bei seinen Worten das Blut in den Adern erstarrte. »Und sein Verbrechen ist Hochverrat. Angeblich gibt ihm der König die Schuld am Verschwinden von Königin-zur-Rechten Kettricken und ihrem ungeborenen Kind. Von anderen hört man, er sei bloß ein wunderlicher alter Mann, der behauptet, König Listenreichs Ratgeber gewesen zu sein, und in dieser Eigenschaft hat er an die Herzöge der Küstenprovinzen geschrieben und sie aufgefordert, standhaft zu sein. Veritas werde zurückkehren und sein Kind den Thron besteigen. Aber den Gerüchten zufolge hofft König Edel, den Narbenmann zu hängen und damit das Glück der Sechs Provinzen zu wenden.« Er kicherte wieder, und ich nickte mit dem einfältigen Grinsen eines Toren.
Chade, dachte ich. Irgendwie hatte Edel Chades Witterung aufgenommen. Wenn er von den Narben in seinem Gesicht wußte, was hatte er sonst noch herausgefunden? Ich fragte mich, wo Chade jetzt war und ob es ihm gutging. Von plötzlicher Verzweiflung erfaßt, wünschte ich mir zu wissen, welches seine Pläne gewesen waren, von welchen Geheimnissen er mich ausgeschlossen hatte. Unversehen bekamen meine Taten ein völlig anderes, ein häßliches Gesicht. Hatte ich Chade aus meiner Nähe vertrieben, um ihn nicht mit ins Verderben zu reißen, oder hatte ich ihn ausgerechnet in dem Augenblick verlassen, als er seinen Schüler am dringendsten brauchte?
»Bist du noch da, Cob? Ich kann dich sehen, wie einen Schatten, aber an deinem Platz ist es sehr still geworden.«
»Ich bin da, Harfner Josh!« Ich bemühte mich um einen lebhaften Tonfall. »Ich denke nur über all das nach, was ich gerade erfahren habe.«
»Wahrscheinlich überlegt er, welchen pockennarbigen alten Mann er König Edel verkaufen könnte, nach seiner Miene zu urteilen«, warf Imme spitzzüngig ein. Plötzlich wurde mir bewußt, daß ihre dauernden Seitenhiebe und Anzüglichkeiten eine Art von Anbandelungsversuch darstellten. Von einem Augenblick auf den anderen hatte ich genug von meinesgleichen, von Geselligkeit und Unterhaltung. Mir fehlte einfach die Übung im Umgang mit Menschen. Zeit zu gehen. Sollten sie mich für seltsam und unhöflich halten, das war besser, als wenn ich noch länger blieb und ihre Neugier weckte.
»Nun, ich danke euch für eure Lieder und eure Gesellschaft«, sagte ich und suchte einen Groschen heraus, um ihn für den Schankburschen unter den Krug zu legen.
»Doch jetzt sollte ich mich wieder auf den Weg machen.«
»Aber es ist stockdunkel draußen!« rief Melisma überrascht aus. Sie stellte ihren Krug hin und schaute Imme an, deren Miene Bestürzung verriet.
»Und kühl, mein Fräulein«, versetzte ich
Weitere Kostenlose Bücher