Die Legende von Shannara 01 - Brooks, T: Legende von Shannara 01
Enkeltochter, und du bist das Beste, was wir uns hätten wünschen können. Du wirst reifen, du wirst Weisheit erlangen. Du bist ein besonderes Kind, und ich liebe dich.«
Als Phryne den Korridor zurückging, der aus dem Landhaus herausführte, und die Stufen der Veranda herabstieg, hielt sie ihren Kopf gesenkt, damit der alte Mann, der sich bedächtig im Schaukelstuhl wiegte, ihre Tränen nicht sehen konnte.
Phryne verschwendete keine Zeit, nachdem sie ihre Großmutter verlassen hatte. Sie lief fast den Weg zurück durchs Gehölz und über die Wege und Straßen bis zum Ratssaal und den Gemächern der Minister. Sie konnte einfach nicht aufhören, über das nachzudenken, was ihr ihre Großmutter über Isoeld gesagt hatte. All der Zorn und die Geringschätzung, die sie vorher für ihre Stiefmutter empfunden hatte, all das, was sie geglaubt hatte, beherrschen zu können, brach von Neuem hervor, weißglühend und rasiermesserscharf. Sie hatte den Gerüchten nicht glauben wollen, hatte sich gewünscht, dass es Lügen wären. Als Isoeld sie im Garten zur Rede gestellt hatte, hatte sie sich für ihre Verdächtigungen geschämt, und sie waren ihr peinlich gewesen. Sie hatte damit falsch liegen wollen.
Aber jetzt wollte sie etwas ganz anderes.
Sie machte einen kurzen Abstecher ins Heilerzentrum und fand bestätigt, was sie vermutet hatte. Isoeld war nicht da. Sie war schon sehr früh nach Hause gegangen, weil sie müde war und sich nicht wohl fühlte. Sie hätte so hart gearbeitet und sich so sehr um die Kranken und Verletzten gekümmert, lobpreiste der Heiler sie, mit dem Phryne sprach. Aber die Belastung wäre einfach zu viel für sie. Man konnte ja sehen, wie zerbrechlich sie sei.
Phryne behielt ihre Meinung für sich und erwiderte nichts.
Dann betrat sie das Ratsgebäude, ging den langen Korridor hinunter und an den verschlossenen Türen vorbei bis zu den Gemächern des Obersten Ministers. Als sie dort eintraf, waren auch jene Türen verschlossen. Aber sie presste ihr Ohr an eine Tür, lauschte angestrengt und klopfte. Nichts. Sie wartete einen Moment und klopfte wieder, lauter und nachdrücklicher. Wieder nichts. Sie stand einige Minuten da und wusste nicht, was sie tun sollte. Schließlich wandte sie sich ab. Eine seltsame Mischung aus Enttäuschung und gleichzeitig Erleichterung durchströmte sie. Vielleicht irrte sich ihre Großmutter ja doch.
Sie verließ das Ratsgebäude und ging über das Palastgelände grübelnd zurück nach Hause. Sie war fast schon dort angekommen, als sie sah, wie sich die Tür zum Geräteschuppen öffnete und Isoeld in der Öffnung auftauchte. Vorsichtig trat Phryne einen Schritt zurück, in die Deckung eines Clematis-Spaliers, wo sie regungslos ausharrte. Ihre Stiefmutter sah sich um, ohne Phryne zu entdecken, schloss dann die Schuppentür und ging entspannt und zielstrebig zum Haus, wobei sie ihr langes blondes Haar zurückbürstete.
Phryne blieb regungslos, wo sie war.
Einige Minuten vergingen. Nichts geschah. Sie wartete noch eine Weile länger. Da öffnete sich die Tür zum Schuppen ein zweites Mal, und der Oberste Minister trat heraus. Phryne hätte am liebsten laut aufgeschrien, um ihre Wut herauszulassen. Sie verspürte den Drang, sich auf Teonette zu stürzen und ihn zu erwürgen. Sie wollte ihm so wehtun, dass er um Gnade bettelte.
Stattdessen blieb sie stumm stehen und wartete, bis er weiterging, in Richtung der Ratsgebäude und an dem Spalier vorbei, hinter dem sie stand. Als er fast auf ihrer Höhe war, trat sie ihm direkt in den Weg.
»Guten Tag, Oberster Minister«, begrüßte sie ihn munter.
Teonette war groß und auf eine bestechende Art und Weise gutaussehend. Seine dunklen Augen fixierten sie mit einem ungläubigen Blick. Er war sichtlich erschrocken. »Prinzessin… Euch ebenfalls einen guten Tag.« Er versuchte, gelassen zu atmen. »Habt Ihr… im Garten gearbeitet?«
Er versuchte herauszufinden, was sie gesehen hatte. Sie lächelte ihn an. »Nein. Ich bin von einem Besuch zurückgekehrt und habe kurz Halt gemacht, um die Clematis zu bewundern. Und Ihr, Oberster Minister? Bewundert Ihr die Blumen in unserem Garten?«
Das gezwungene Lächeln des großgewachsenen Mannes verriet sein Unbehagen. »Nein, ich… ich habe nur für Euren Vater etwas aus dem Haus geholt. Ein paar… Dokumente.«
Er machte keine Anstalten, sie ihr zu zeigen, und sie verlangte auch nicht, sie zu sehen. Wozu auch? Stattdessen nickte sie, als sei das alles völlig nachvollziehbar, und
Weitere Kostenlose Bücher