Die Legende von Shannara 01 - Brooks, T: Legende von Shannara 01
wandte sich zum Gehen.
»Übrigens«, sagte sie beiläufig und hob die Hand. »Ihr habt da etwas an Eurem Mund. Es sieht aus wie Farbe. Oder blutet Ihr vielleicht?«
Teonettes Hand flog zu seinem Mund, und er rieb hastig seine Lippen. Als er jedoch auf seine Finger sah, war nichts zu sehen. Phryne lächelte strahlend, als er den Kopf in ihre Richtung drehte. »Ich glaube, Ihr habt es erwischt, Oberster Minister. Ich wünsche Euch noch einen schönen Tag.«
Dann schlenderte sie davon und summte vor sich hin.
KAPITEL 23
Als der alte Mann zurückkehrt, ist erst eine Woche vergangen, aber der Junge hat den Eindruck, als wäre er um ein ganzes Leben gealtert. Er ist grauer als zuvor, wirkt angeschlagen, seine Augen sind müde und ihr Blick tieftraurig. Der Junge braucht nicht zu fragen, ob der Besuch des alten Mannes erfolgreich war. Er sieht sofort, dass er es nicht war.
»Er hat mich nicht beachtet«, erzählt ihm der alte Mann. »Er hört nicht auf meinen Rat und lässt sich nicht im Mindesten anmerken, dass ihm das, was ich sage, irgendetwas bedeutet. Er hat nur gegrinst, das Thema gewechselt und mich so verächtlich abgefertigt, als ob ich nicht mehr von Bedeutung wäre.«
Der alte Mann schüttelt den Kopf. »Er hat sich zu sehr in diese Angelegenheit hineingesteigert. Er sieht die Welt nicht mehr, wie sie ist, und er merkt nicht einmal, was aus ihm geworden ist. Er hat vergessen, was es bedeutet, den Stab zu tragen. Vergessen ist der Schwur, den er geleistet und die Sache, der er sich verpflichtet hat. Er sagt es nicht und verrät es mit keinem Wort. Aber man merkt es seiner Distanziertheit an, seiner kurzen Aufmerksamkeitsspanne und seinem Blick. Ich kann ihn nicht erreichen.«
»Was geschieht jetzt?«, will der Junge wissen.
Der alte Mann hält inne, blickt auf seine Hände und den schwarzen Stab. »Nichts, was wir verhindern könnten«, antwortet er schließlich.
Danach sagt er nichts mehr. Der Junge überlegt, ob er nach den Einzelheiten dieses Zusammentreffens fragen soll, aber er spürt, dass der alte Mann nicht darüber reden will. Sie wenden sich wieder den Dingen zu, mit denen sie beschäftigt waren, bevor der alte Mann gegangen war. Der alte Mann widmet sich wieder der Lehre und Unterweisung, und der Junge kehrt zu seinem Unterricht zurück. Die Tage vergehen so wie früher, und das Leben nimmt wieder seinen gewohnten Gang.
Bis eines Tages, eines hellen und klaren Tages, bei dem man den Eindruck gewinnt, als existierten die Begrenzungen des Tals nicht mehr, als hätten sich die allgegenwärtigen Schichten von Nebel, Wolken und Regen für alle Zeiten aufgelöst, sie der Träger des anderen schwarzen Stabes aufsucht.
Der Junge und der alte Mann sitzen auf einem Hügel mit weitem Blick über das Tal. Sie sprechen erneut darüber, wie die Macht des Stabes das Denken seines Trägers verändern kann. Es ist ein Thema, das zu jener Zeit in den Gedanken des Mentors allgegenwärtig zu sein scheint. Macht korrumpiert, und wenn man nicht sorgsam auf sie achtet und sie unter Kontrolle behält, wird sie am Ende denjenigen beherrschen, der sich ihrer bedient. Das ist das Risiko, das jeder eingeht, der über sie verfügt, und es ist eine beständige Gefahr für den Träger des Stabes. Vorsicht ist geboten, wenn man seine Macht anwendet, und sei der Anlass auch noch so geringfügig, weil diese Macht des Stabes ein Elixier ist, das sich allmählich im Körper ansammelt und schließlich alle Widerstände bricht. Man kann zwar Toleranz dafür entwickeln, aber schon das Gefühl, das dieses Elixier erzeugt, bereitwillig willkommen zu heißen ist ein Unding. Vielleicht erkennt man die Gefahr nicht gleich, besonders in Zeiten wie diesen, in denen man seiner Macht so selten bedarf. Aber zu verstehen, was es bedeutet, die Macht des Stabes anzurufen, hilft einem, sich davor zu schützen und am Leben zu bleiben.
Der alte Mann kommt zum Ende, schaut hinaus in die Ferne, zu einem Wäldchen, das etwas weiter unten am Hang liegt, auf den sie gestiegen sind, und erhebt sich.
»Er ist da«, sagt er.
Zuerst weiß der Junge nicht, von wem der alte Mann spricht. Doch Sekunden später tritt eine Gestalt zwischen den Bäumen heraus. Ein hageres Gespenst, das einen schwarzen Stab trägt, und somit erübrigt sich jede Frage. Der Elf sieht aus wie ein von den Toten Auferstandener, seine Kleidung ist zerlumpt und schmutzig, sein Gesicht zerkratzt und von Prellungen übersät, und seine Schultern sind so gebeugt, als laste auf ihnen
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