Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
gebracht worden sowie jede Haut als Leinwand zum Einsatz gekommen.
Und doch verlangte es ihm nach mehr.
»Ich will die Dunkelheit meine Hand und meine Gedanken leiten lassen«, sagte er zu sich.
Sodann begann er mit den Vorbereitungen, und weil er sein Vorhaben laut in Dsôn verkündete, waren die Einwohner sehr gespannt, was er dieses Mal erschaffen würde.
Der Alb stellte die beste Hautleinwand auf die Staffelei, verteilte die offenen Farbtiegel davor und steckte Pinsel hinein, damit er sie nur zu greifen brauchte.
Alsdann verdunkelte er den Raum vollständig, sodass nicht der kleinste Schimmer hineinfiel und er nichts zu sehen vermochte.
Er wartete, dass die Finsternis zu ihm sprach.
Aber es geschah nichts.
Weder fühlte er die Eingebung, nach einem Pinsel zu greifen, noch befiel ihn ein Gedanke, was er malen könnte.
Der Alb wartete und wartete.
Nach einiger Zeit dürstete ihn, und er tastete sich zur Tür, die in die Küche führte.
Doch in der vollkommenen Schwärze fand er sich nicht zurecht. Es war, als hätten Dämonen sein Zimmer verflucht und die Seiten vertauscht. Nichts schien dort zu sein, wo er es vermutete. Er wurde zunehmend unruhig und lief im Raum auf und ab.
Blind rammte er die Staffelei, stürzte über die Pinsel, rutschte in den Farben aus. Er brach sich die Knochen und die Nase, blutete aus verschiedenen Wunden.
Schließlich vernahmen die Sklaven seine Schreie und öffneten die Tür zur Werkstatt.
Als das Licht in das Atelier fiel, sahen sie, dass sich auf der Leinwand die Farben mit dem Blut des Malers vermengt hatten.
Der Alb sah auf das Werk herab und musste laut lachen, trotz seiner Pein und dem Durcheinander, das er selbst angerichtet hatte, denn auf dem Untergrund war nichts anderes entstanden als: Schwarz.
»Seht«, rief er und erhob sich lachend, doch unter Schmerzen, »das kommt dabei heraus, wenn man die Dunkelheit festhalten will: nichts als Dunkelheit.«
Das Bild wurde so berühmt, dass es auf dem großen Platz von Dsôn öffentlich ausgestellt werden musste, weil der Maler den großen Andrang in seinem Haus nicht länger ertrug.
Bis heute verkaufte er es nicht.
»Gegen kein Geld und keine Annehmlichkeit der bekannten Welt«, sprach er, »überlasse ich meine eigene Finsternis einem anderen.«
Von Arviû und was ihm alles gelang
Lasst mich von einem Alb berichten, über dessen Taten und Verdienste ich ein Werk von solchem Umfang schreiben könnte, dass es mehr als einen Winter benötigte, um sämtliche Geschichten und Einmaligkeiten zu lesen.
Doch da viele andere Persönlichkeiten und Begebenheiten darauf warten, gewürdigt zu werden, muss ich mich einschränken und es bei einigen kleinen Episoden belassen, die ich für wichtig erachte. Vielleicht schreibe ich zu einem anderen Zeitpunkt noch mehr Geschehnisse in jeder Einzelheit nieder.
Oh, lasst mich vorwegschicken, dass Arviû und ich uns beim ersten Zusammentreffen nicht sonderlich gut leiden konnten.
Das änderte sich nach jener Schlacht gegen die Elben der Goldenen Ebene, in der er sein Augenlicht verlor.
Er streifte seine Abneigungen gegen mich ab, und wir verbrachten viele Nächte damit, dass er mir seine Erlebnisse schilderte und ich seine Worte festhielt.
Selten erlebte ich einen Alb von solcher Härte gegen sich und andere, mit solchem Hass auf Elben – und doch von solcher Güte und Einfühlungsvermögen wie Arviû.
Er verstand es, seine Helfer mit einer kleinen Geste und einem geflüsterten Wort zu lenken. Und, wahrlich, niemals sah ich edlere Geschöpfe!
So erfahrt, welche Besonderheiten ihn ausmachten und was wir ihm zu verdanken haben. Drei Episoden aus seinem bewegten Leben seien nun berichtet.
Behaltet stets in Erinnerung, dass ein Gegner ohne Augenlicht keine leichte Beute ist, schon gar nicht, wenn im Dunkeln gekämpft wird.
Denn dann werden die Sehenden zu Blinden.
Wie Arviû seine Helfer fand und band
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Dsôn Faïmon, Dsôn, 4371/72. Teil der Unendlichkeit (5199./ 200. Sonnenzyklus), Winter
Es wäre allmählich Zeit, dass sie anhalten und ich mich hinausstehlen darf. Meine Beine schlafen ein. Arviû veränderte behutsam seine Lage, doch es wurde nicht besser. Ich muss mich bewegen, bevor das Blut sich staut.
Er hatte es sich heimlich im siebten der insgesamt acht großen Gespanne so eingerichtet, wie es die Ladung erlaubte; einen Teil seiner Waffen hatte er mitgenommen und in Lücken gestopft.
Nach seinem überstürzten Aufbruch aus dem Reich
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