Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
zwei verbrannten mitsamt der Ladung; die Zugtiere lagen erschlagen in ihrem Geschirr.
Was vollkommen fehlte: Leichen.
So sehr sich Arviû orientierte und sich Mühe gab, er konnte weder Krieger noch Kutscher entdecken. Selbst Endôras und Udalór waren verschwunden. Die Dorón Ashont hatten sie mitgenommen, um sie zu verzehren, wie er vermutete. An den Nachtmahren hatten sie kein Interesse gezeigt, sondern sich damit begnügt, sie wie die Ochsen zu erschlagen.
Ich überlebte als Einziger. Der Regen hatte sich in Schnee gewandelt, wie er an den zarten Berührungen auf der Haut spürte. Er machte sich daran, in den geborstenen Kisten nach warmen Kleidungsstücke der Unauslöschlichen zu suchen, um sich gegen die Kälte zu schützen. Dass er damit eine Anmaßung beging, kümmerte ihn nicht.
Dabei dachte er darüber nach, was zu tun war.
Blind würde es ihm niemals gelingen, den Tross durch Ishím Voróo zu lotsen. Selbst wenn er neue Ochsen fand und die Gespanne aneinanderband, würde er alsbald Opfer von marodierenden Scheusalen oder eben jenen Wandelnden Türmen werden, die umherstreiften und sein Volk jagten. Ganz zu schweigen von diesem Durcheinander, der verstreuten Ladung und den ruinierten Kleinodien, die umgepackt werden müssen. Arviû hatte einen Fellmantel ertastet und angelegt, dazu noch ein Wams, dickere Stiefel und Handschuhe, die ihn fortan vor dem Winter bewahren würden. Die Feuer spendeten noch genug Wärme, doch das würde nicht lange anhalten.
Er fasste den Entschluss, sich zurück nach Dsôn durchzuschlagen und um Beistand zu bitten. Den Fragen nach seinem plötzlichen Verschwinden und dem gewaltsamen Tod seines Mentors würde er sich stellen müssen. Doch bis er das Albaereich erreicht hatte, würde ihm sicherlich etwas einfallen.
Arviû sammelte Ausrüstungsgegenstände zusammen, die er aus den Satteltaschen der Nachtmahrkadaver klaubte – als er ein leises Maunzen vernahm.
Er hielt inne und duckte sich hinter den getöteten Rappen. Vena-Katzen. Der Blutgeruch wird sie angelockt haben. Mit einer Hand zog er zwei Wurfdolche, konzentrierte sich. Samusin, was verbrach ich?
Das Maunzen erklang wieder, aber nicht angriffslustig oder herausfordernd, sondern bittend und klagend. Es drang aus dem Gebüsch, in das er zuvor gerollt war.
Jungtiere . Arviû sah sich bereits von der wütenden Mutter zu Hackfleisch gerissen.
Aber außer den anhaltenden, mehrstimmigen Katzenlauten und dem Knacken des Feuers blieb es still.
Ob man sie wohl abrichten könnte? Der Alb wagte sich vom Nachtmahrleichnam ab und ging auf das Gebüsch zu, um nachzusehen, wie viele Jungtiere sich verbargen.
Im Dickicht machte er einen Wurf von fünf Katzen aus, jede nicht länger als eine Messerklinge und nicht dicker als ein schmaler Bierkrug. Die Mutter lag neben ihnen – tot. Der Kopf war von einem Keulenhieb weggerissen worden. Die Kleinen schlabberten abwechselnd ihr Blut, doch sie verlangten nach mehr. Als sie Arviû bemerkten, fauchten sie zornig.
Arviû sammelte die aufsässigen kleinen Vena-Katzen ein und stopfte sie zusammen mit einem Schal in eine Tasche, damit sie nicht erfroren. Sie schlugen mit den kleinen Pfoten, schnappten furchtlos nach den übermächtigen behandschuhten Fingern.
Wollen wir herausfinden, was ihr taugt. Er hatte vor, sie zu seinen Getreuen zu machen, sie auszubilden und zur Jagd auf Elben anzurichten. Aber ich brauche mehr als ein paar abgerichtete Raubtiere. Ich brauche … Er wandte sich langsam um, zu den Überresten der Nachtmahre.
Da erklang Hufgetrappel, das sich rasch näherte.
Arviû eilte zurück zum Baum, der ihm bereits vor dem Dorón Ashont Sicherheit geboten hatte, und schwang sich hinauf in das Geäst. Kaum hatte er sein Versteck bezogen, vernahm er die bekannte Sprache seines Volkes durch das Stampfen der Tiere und leises Klirren des Zaumzeugs.
»Ahnte ich es doch«, hörte er die Stimme einer Albin. Arviû erinnerte sich sofort an sie. Es war Ergàta, die sich vor der Abreise aus Dsôn mit Sajùtor, dem Anführer des Trosses, unterhalten hatte. »Wir kommen zu spät. Die Dorón Ashont waren schneller als wir.«
Dem Hufschlag nach waren es mehr als hundert Kriegerinnen und Krieger, die nach und nach den Ort des Gemetzels erreichten.
»Verliert keine Zeit«, gab sie Anweisung. »Sammelt alles ein, ladet die Kisten auf und spannt Nachtmahre vor. Es geht weiter nach Tark Draan. Bringen wir uns und die Habseligkeiten der Unauslöschlichen in Sicherheit.«
Arviû wartete
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