Die Legenden der Albae: Tobender Sturm (Die Legenden der Albae 4) (German Edition)
hetzen.
Doch nun erfuhr ich zu viel, das erkundet werden muss. Aiphatòn glaubte, dass es wahrlich ein Geheimnis um den merkwürdig geformten Gipfel gab.
Und das würde er aufdecken.
»Schönheit ohne Schläue und Gefährlichkeit ist an einem Wesen nutzlos.«
Albische Weisheit,
gesammelt von Carmondai, Meister in Wort und Bild
Ishím Voróo, Albaestadt Dsôn Elhàtor, 5452. Teil der Unendlichkeit (6491. Sonnenzyklus), Frühsommer
Ein beständiges Rauschen weckte Modôia aus ihrem Schlummer.
Sie öffnete die Augen und blickte durch das bodenlange, geöffnete Fenster hinauf auf das unruhige Meer; weiße, lichte Vorhänge wehten im warmen Wind und tanzten für die Herrscherin.
Doch nicht die Wellen sorgten für das beruhigende Geräusch.
Dunkle Schleier hingen aus den tief dahinziehenden grauen Wolken und bedeckten die See sowie die Insel mit Regen.
Die dicken Tropfen warfen sich auf den Balkon, auf die geflochtenen Sessel, auf das Tischchen, zerplatzten daran, woanders rannen sie langsam herab. Erste großflächige Pfützen hatten sich auf dem Boden vor dem Raum gebildet.
Als müsste das Meer gegossen werden. Modôia lächelte und schob einen Arm unter den Kopf, streifte mit der anderen Hand die langen, blonden Haare nach hinten. Wer ahnt schon, was darin vor uns verborgen wächst und keimt?
Sie wusste, dass ein ganzer Moment der Unendlichkeit vergangen war. Das Elixier, das Leïóva zu mischen verstand, ließ sie lange schlafen und sich erholen. In dieser Zeit musste Dsôn Elhàtor ohne sie auskommen und auf den Verstand ihres Sohnes vertrauen.
Modôia genoss noch eine Weile den Anblick des Regens und den sauberen Geruch, der hereinströmte.
Weit draußen riss die Wolkendecke bereits auf, die Sonne brach sich ihre Bahn, und ihre Strahlen glitzerten auf den Wellen.
Zwischen dem sich sachte hebenden und senkenden Wasser erschienen mehrere schwarze Umrisse mit gesetztem Vollzeug.
Modôia verengte die Augen und richtete sich auf. Segel!
Schlagartig fiel ihr ein, dass die Erste Flotte für heute erwartet wurde. Damit gab es auf dem Markt ordentlich zu tun.
Mit Vorfreude auf die vielen Waren und neuen Eindrücke erhob sie sich aus dem Bett, dessen verziertes Gestell aus poliertem Basalt und Glas bestand, vermied aber, sich zu schnell zu bewegen. Ihr Körper blieb angeschlagen. Unwiderruflich.
Modôia warf sich einen dunkelroten Brokatmantel mit schwarzen und goldenen Stickereien über das weiße Nachtgewand und öffnete die Doppeltüren, die aus dem Schlafgemach in ihr Arbeitszimmer führten.
Es wunderte sie nicht, Ôdaiòn am geschnitzten Walknochentisch vorzufinden, der umgeben von zerknüllten Blättern gerade etwas aufschrieb, um es gleich darauf mit einem verzweifelten Stöhnen durchzustreichen. Das dunkelblaue Gewand stand ihm ausgezeichnet, die Füße steckten in Sandalen. Das Weiß der deckenhohen Gebeinregale machte den Raum hell und freundlich, die Aufzeichnungen zu Erlassen, Gesetzen und Vorkommnissen stapelten sich auf den Böden.
Sie betrachtete lächelnd ihren Sohn, der ihr Kommen nicht bemerkt hatte. Er müht sich redlich. »Woran arbeitet Ihr?«
Ôdaiòn richtete die Augen auf sie und wirkte verlegen, weil sie ihn bei seinen erfolglosen Schreibversuchen ertappte. Er nutzte wieder die Tinktur, die verhinderte, dass sich das Weiß der Augen bei Tageslicht eintrübte, sodass man das Tiefmeerblau leuchten sah, das ausgezeichnet zu seiner Garderobe passte. Diese Erfindung wäre in Tark Draan zum Zeitpunkt der Invasion durch Sinthoras und Caphalor unbezahlbar gewesen. Modôia selbst hielt nichts davon.
Mit dem Fuß scharrte Ôdaiòn die Papierbälle zusammen, um sie weniger zahlreich erscheinen zu lassen. »Ich versuche mich an dem Schreiben an den Regenten von Dâkiòn. Es ist wieder an der Zeit, ein wenig zu heucheln«, erklärte er. Schnaufend legte er den silbernen Tintenstift weg, mit dem er geschrieben hatte, und zerriss den neuerlichen Entwurf. »Wie gelingt Euch das, Mutter?« Theatralisch warf er die Schnipsel auf die Knochentischplatte.
»Ich bin älter als Ihr und besitze mehr Erfahrung. Das ist eine große Hilfe«, erwiderte sie. »Und Leïóvas Elixiere machen mich sehr gelassen.«
Beide lachten.
Modôia ging zu ihm und lehnte sich an die Tischkante. »Also schrieb man uns einen Brief?«
Der Alb, der seinem Vater bemerkenswert ähnelte, nickte. »Er kam bei Sonnenaufgang. Es ist das Übliche, die Floskeln kennt man.« Er deutete auf das leere Blatt. »Und obwohl ich
Weitere Kostenlose Bücher