Die Legenden der Albae: Tobender Sturm (Die Legenden der Albae 4) (German Edition)
sie ebenso kenne, will es mir nicht gelingen, sie derart aneinanderzureihen, dass es nach etwas klingt, was bei aller Belanglosigkeit freundlich ist.« Er fuhr sich durch die halblangen Haare und verbannte die aufsässigen braunen Strähnen aus seinem Antlitz.
Modôia nahm das Schreiben aus Dâkiòn zur Hand.
Der Regent, Shôtoràs, war ein erfahrener Politiker durch und durch sowie glühender Verfechter der Gestirne. Sicherlich gehörte er zu den Ältesten ihres Volkes und stammte noch aus den Zeiten, als Dsôn Faïmon ein starkes und gefürchtetes Reich darstellte, als die Strahlarme in größter Blüte standen und nichts den Albae Widerstand zu bieten vermochte.
Modôia würde ihn keinesfalls unterschätzen. Wenn sie gegenüber ihrem Sohn von Erfahrung sprach, war Shôtoràs ihr uneinholbar überlegen.
Sie wusste, dass der alte Alb sie hasste. Abgrundtief und unversöhnlich. Schon alleine, weil sie wie aus dem Nichts aus Tark Draan gekommen war. Dazu reihte sich der Umstand, dass sie damals Hunderte Albae aus Dâkiòn dazu bewegt hatte, ihr weiter nach Osten zu folgen, wo das Meer sie erwartete.
Die Herrscherin glaubte fest daran, dass diese abspenstig gemachten Bewohner der Stolzen der Grund waren, weswegen Shôtoràs darauf verzichtete, Elhàtor anzugreifen: Der Regent träumte davon, seine verlorenen Albae samt der Kindeskinder zurückzubekommen. Darauf basierte der brüchige Frieden, der so sehr trug wie eine schwimmende Planke im Wasser: Bei der geringsten Belastung würde er untergehen.
Modôia überflog die vor Freundlichkeit triefenden Zeilen. Und bis dahin versucht Shôtoràs sich in Mäßigung. »Es sind die üblichen Freundlichkeiten«, bestätigte sie den Eindruck ihres Sohnes. »Wir sollten ebenso antworten.«
»Nur aus Neugier: Wie würde es bei Euch klingen?« Ôdaiòn versuchte, sich halbwegs gleichgültig anzuhören.
»Geschätzter Shôtoràs«, diktierte sie mit einem süffisanten Lächeln, weil er sie wieder die Arbeit machen lassen wollte. »Mit Freude habe ich Euren Brief gelesen. Auch ich versichere Euch nach wie vor meine Freundschaft und mein Wohlwollen. Die Stadt und ihre Bewohner sind wohlauf. Gerade eben kehrte eine unserer Flotten von einer Handelsfahrt zurück, und wisset, welche Kostbarkeiten sich aus den Frachträumen erheben.« Modôia blickte aus dem Fenster zu den rasch näher rückenden Segeln. Es waren zwei gewaltige Schiffe und fünf kleinere Begleitboote, wie sie es von den Frekoriern gelernt hatten. Damit war ein Verband unschlagbar. Sie räusperte sich und richtete die Augen auf ihren Sohn. »An dieser Stelle könntet Ihr einfügen, was Ihr unten auf dem Markt alles sehen werdet.« Sie legte den Brief aus Dâkiòn zurück und erhob sich. »In dieser Weise oder ähnlich würde es bei mir klingen.«
»Was ist mit der Anfrage seiner zweiten kurzen Nachricht, Mutter?« Er hob einen kleinen Zettel und reichte ihn hoch.
Die blonde Albin nahm das Papier zur Hand, die Stirn legte sich in Falten. Die Furchen auf der glatten Haut vertieften sich, als sie laut vorlas:
»Geschätzte Modôia,
einst vereinbarten wir, dass kein Schiff aus Dâkiòn mehr als vier Meilen den Fluss stromabwärts hinabfahre.
Was haltet Ihr davon, wenn wir wenigstens unseren Fischern zugestehen, bis zur Mündung und eine Meile drum herum fahren zu dürfen? Die Fanggründe stromaufwärts sind erschöpft, und Ihr wollt die Bewohner doch keinen Hunger leiden lassen? Es befindet sich genug Verwandtschaft von ihnen in Eurer Stadt.
Es wäre an der Zeit, diese Erlaubnis als Geste der Verbundenheit und des gegenseitigen Respekts zu erweisen.
Nutzt zur Antwort den Vogel, der Euch diese Botschaft brachte. Er ist zuverlässiger als jeder andere.«
Äußerst merkwürdig. Modôia senkte das Blatt, überlegte, dann nahm sie die erste Nachricht zur Hand und hielt sie vergleichend übereinander.
Ôdaiòn lachte leise. »Mir kam derselbe Gedanke. Und ich finde, dass sich der Verfasser äußerst geschickt anstellte, die Handschrift von Shôtoràs nachzuahmen. Es muss jemand sein, der Zugang zu seinen Schriftstücken hat.«
»Dazu noch der Hinweis, den gleichen Vogel zu nutzen«, murmelte Modôia. »Die Botschaft soll sicherlich nicht bei Shôtoràs ankommen.« Ihr Magen grummelte, es wurde Zeit, dass sie etwas zu sich nahm. Ohne Frühstück konnte sie keine Entscheidung fällen. »Wir schweigen dazu vorerst. Da es sich nicht um ein Schreiben des Regenten handelt, hat es Zeit.« Sie reichte ihrem Sohn die
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