Die Legenden der Albae - Vernichtender Hass
»Ossandra?«
Keine
Antwort.
»Ossandra,
ich bin es! Wo steckst du?«, rief sie und stieg ins Unterholz, um nach dem
Mädchen zu suchen. Hat sie sich verlaufen? Oder verletzt?
Während
sich Famenia durch Dornenranken und Büsche kämpfte, arbeitete ihr Verstand mit aller
Energie. Das Vorhaben, in die Kaverne einzudringen, verwarf sie gänzlich.
Einer der fünftausend Albae würde sie dabei mit Sicherheit bemerken. Und selbst
wenn sie hineingelangte und die Kinder und Gebrechlichen fand, wäre sie kaum in
der Lage, sie aus der Höhle zu schaffen, geschweige denn, Mühlenstadt von den
Besatzern zu befreien.
Zudem
hatte sie eigentlich einen Auftrag zu erfüllen, der keinerlei Aufschub duldete.
Doch
so einfach weiterreisen konnte und durfte sie nicht! Aus mehreren Gründen.
Einmal
wegen der Leute. Darüber hinaus ahnte sie, dass diese geheime albische
Streitmacht mehr als eine Plage war, die zufällig über Mühlenstadt
hereingebrochen war. Die Krieger konnten in einer wichtigen Schlacht um das
Schicksal des Geborgenen Landes den entscheidenden Schlag aus dem Hinterhalt
führen. Sehr wahrscheinlich hatten die Albae mehr im Sinn, als sich einfach nur
zu verbergen.
»Ossandra?«
Famenia wischte den Schweià von der Stirn und drehte sich, sah sich um. Keine Spur von einem Weg! Ich habe mich verlaufen!
Sie
stand in einem lichten Wäldchen, in dem die Bäume nicht mehr als vier Schritte
in die Höhe ragten. Das genügte, um ihr die Sicht zu rauben, doch an den
schmalen Ãsten der kleinen Bäume konnte sie nicht emporklettern, um sich zu
orientieren.
Es
blieb ihr nichts anderes übrig, als sich nach dem Taggestirn zu richten und
immer nur in eine Richtung zu marschieren, bis sie wieder auf eine StraÃe
stieÃ. Sie sorgte sich um Ossandra. Hoffentlich ist sie
nicht auf eigene Faust nach Mühlenstadt gegangen!
Als
sich der Sonnenumlauf dem Ende näherte, erreichte Famenia einen Abschnitt
voller Rotrindentannen, den sie wiederzuerkennen glaubte.
Danke, ihr Götter! Jetzt musste sie nur noch Ossandra
finden.
Sie
verfluchte die zunehmende Dunkelheit, die im Wald noch schneller um sich griff
als auf freiem Feld. Zwar führte sie eine Laterne an ihrem Rucksack mit, aber
es wäre kein guter Einfall gewesen, sie zu entzünden, denn dann hätten die
Albae bemerkt, dass jemand um die Stadt schlich.
Famenia
hörte plötzlich eine helle Stimme schreien. Ossandra!
Sie
rannte los, folgte den Lauten: aufgeregtes Pferdeschnauben, unverständliche
laute Männerstimmen, Metall, das gegen Metall rieb. Sie
haben sie gefunden! Oh, ihr Götter!
Sie
war fest entschlossen, wenigstens das Kind vor den Albae zu retten, wenn sie
schon nichts für die Stadt zu tun vermochte. Ihre rechte Hand wanderte zum
Amulett, sie rief sich den WindstoÃzauber in Erinnerung und hielt sich bereit,
ihn sofort gegen die Angreifer einzusetzen.
Sie
durchbrach das Unterholz und sprang keuchend auf eine StraÃe, die Hand erhoben,
um den Spruch zu schleudern.
Ossandra
stand etwa elf Schritte von ihr entfernt, direkt hinter ihr vier schwer
gepanzerte Reiter, die auf gerüsteten Rappen saÃen und verstärkte Lanzen
hielten; das hintere Ende steckte jeweils in einer Steigbügellasche, die Spitze
ragte gut acht Schritt in die Höhe. Am Sattel hatten sie groÃe Schilde mit
Runen befestigt.
Der
vorderste Alb schob das Visier hoch und betrachtete mit einem Stirnrunzeln
zuerst Ossandra, dann die Famula.
»Ihr
bekommt sie nicht!« Famenia löste den Zauber mit zwei Gesten sowie magischen
Silben aus und schleuderte eine Windböe gegen die Berittenen.
Der
gebündelte Luftstrahl zog knapp über das Mädchen hinweg und brachte ihre Haare
zum Wehen, aber die Panzerreiter wurden mit ganzer Wucht erfasst. Tannenäste
wippten rauschend, die Pferde wieherten erschrocken auf und scheuten. Zwei der
Gerüsteten stürzten aus ihren Sätteln und schlugen hart auf dem Boden auf, der
dritte wurde samt seinem Reittier umgeworfen. Nur der Anführer schaffte es,
seinen tänzelnden Rappen zu beruhigen.
Es ist gelungen! »Komm!«, schrie Famenia und streckte die
Hand nach Ossandra aus. »In den Wald! Da können sie uns nicht folgen!« Das Kind
lief zu ihr, griff nach den Fingern, und sie rannten gemeinsam los.
Die
Famula bemerkte schnell, was ihnen zum Verhängnis zu werden drohte: Im
Tannenhain gab es so gut wie kein Unterholz. Zwar hingen
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