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Die Legenden der Vaeter

Die Legenden der Vaeter

Titel: Die Legenden der Vaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kolja Mensing
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verdient, mit einem kleinen Unternehmen, das Anhänger für Lastwagen herstellte und die Wehrmacht belieferte. Mariannes Vater hatte gerade einen Sekretär für ihn angefertigt. Zwei Tage zuvor hatte der Stellmacher das Möbelstück abgeholt und weitere Aufträge in Aussicht gestellt. Arnold hatte ihn eingeladen, an diesem Abend auf den Geburtstag seiner Tochter anzustoßen. Zusammen mit Mariannes Cousine sind sie die einzigen Gäste, und Józef ist sich nicht sicher, ob sie überhaupt wissen, dass es noch einen zweiten Anlass für die Feier gibt. Bisher hat noch niemand ein Wort darüber verloren, dass Marianne und er sich verlobt haben. Auch darüber, dass sie ein Kind bekommen, wird nicht gesprochen. Scham liegt in der Luft, ein Hauch von Bitterkeit und das gleiche Schweigen, das sechs Jahre später im Raum stehen wird, als mein Vater hier im Herrenzimmer hinter zugezogenen Vorhängen getauft wird.
    Marianne hatte die Schwangerschaft lange vor ihren Eltern verheimlicht. Als Arnold aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war, abgemagert, aber gesund, schien ein Hauch von Normalität in den Alltag einzuziehen. Während des Krieges war die Arbeit in der Werkstatt zum Erliegen gekommen, doch jetzt liefen die Maschinen wieder. Die Bauern brachten das Material für ihre Tische und Schränke selbst mit, gut abgelagertes Eichenholz, das jahrelang in ihren Scheunen gelegen hatte, und sie zahlten in Naturalien, so dass sich die Speisekammer im Keller mit Würsten, Speck und geräuchertem Schinken füllte. Auch die Situation im Haus hatte sich entspannt. Die Flüchtlingsfamilie, die im ersten Stock einquartiert worden war, hatte Fürstenau verlassen, um im Ruhrgebiet nach Arbeit zu suchen, und Karla, ihre |118| Schwester und ihre Mutter waren zu Verwandten gezogen. Adamczyk, der polnische Stabsoffizier, war ins Hauptquartier nach Meppen versetzt worden, so dass Marianne, ihre jüngere Schwester und ihre Eltern das Erdgeschoss wieder ganz für sich allein hatten.
    Doch lange hielt das Gefühl der Erleichterung nicht an. Anfang April konnte Marianne nicht länger verbergen, dass sie schwanger war. Ihr Bauch begann runder zu werden, und schließlich gestand sie ihren Eltern, dass sie ein Kind erwartete, von einem der polnischen Soldaten, von dem sie nicht mehr wusste, als dass er einundzwanzig Jahre alt war und Deutsch mit einem wunderlichen Akzent sprach. Es war der heftigste Streit seit langem.
    Józef war an jenem Tag wieder einmal mit dem Jeep unterwegs. Es ging das Gerücht, dass eine Gruppe von ehemaligen polnischen Zwangsarbeitern über die Dörfer rund um Fürstenau zog und die Höfe plünderte, auf denen sie während des Krieges hatten arbeiten müssen. Die Bauern fürchteten weitere Racheakte, und die polnischen Soldaten mussten sich wenigstens pro forma zeigen. Als Józef am späten Nachmittag zurück nach Fürstenau kam, wartete Marianne in der Bahnhofsstraße auf ihn. Sie saß auf einer kleinen Mauer gegenüber der Landwirtschaftsschule. Bisher hatte sie darauf bestanden, dass man sie tagsüber nicht gemeinsam in der Stadt sah, und als sie aufsprang und ihm mit verweintem Gesicht entgegenlief, war klar, dass etwas passiert sein musste. Sie sagte es ihm, mitten auf der Straße.
    Dann ging alles sehr schnell. Józef begleitete Marianne zurück zu ihren Eltern. Es war das erste Mal, dass er über die schmale Holzbrücke ging und das große Haus betrat. Das Gespräch fand in der Küche statt und dauerte nicht einmal |119| eine halbe Stunde. Józef sagte nichts. Es war Marianne, die ihren Eltern erklärte, dass eine Heirat ausgeschlossen sei, weil Józef als Besatzungssoldat keine Ehe mit einer deutschen Frau eingehen durfte. Trotzdem wollten sie sich verloben, die Formalitäten sollten nachgeholt werden, wenn er aus der Armee entlassen werden würde. Mariannes Mutter, die Józef nicht einmal die Hand gegeben hatte, hörte ihrer Tochter mit unbewegter Miene zu, ihr Vater sah an Józef vorbei aus dem Fenster, hinüber zur Werkstatt. Erst als Marianne aufzählte, wen sie zur Verlobungsfeier einladen würde, unterbrach ihre Mutter sie. Die Cousine dürfe sie einladen, ansonsten würde es keine Gäste geben, das war ihre Bedingung, und vielleicht wollte Mariannes Vater seiner Tochter einen Gefallen tun, als er zuletzt doch noch seinen besten Kunden für den Abend ins Haus bat.
    Mariannes Mutter schenkt wortlos Schnaps ein, auch Józef schiebt sie ein Glas zu. Sie stoßen auf Mariannes Geburtstag an, und eine Zeitlang sagt

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