Die Legenden der Vaeter
Ersatzteil für die Bandsäge im Maschinensaal der Werkstatt zu besorgen. Marianne ist stolz auf ihn, und sogar Anna bedankt sich mit einem schmalen Lächeln, wenn er ein halbes Pfund Kaffee auf den Küchentisch stellt.
Józef hat Talent für den Schwarzmarkt. Die kleinen Geschäfte, die er bei seinen Ausflügen nach Brüssel abwickelt, erinnern ihn an seine Kindheit in Siemianowitz, als er zusammen mit den anderen Jungen für ein paar
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Eisenschrott und Kohlen sammelte. Jetzt streicht er Dollarscheine und Pfundnoten ein. Das Geld versteckt er in Mariannes Elternhaus, ganz hinten in der Frisierkommode in ihrem Schlafzimmer. »Das ist unsere Zukunft«, erklärt er ihr.
Józef ist nicht der einzige polnische Soldat, der schnell noch Geschäfte macht. Im Sommer 1946 hat der Abzug der Truppen bereits begonnen. Großbritannien passt seine Außenpolitik an die neuen Machtverhältnisse im Osten Europas an und nimmt Beziehungen zu den neuen kommunistischen Machthabern in Polen auf. Gleichzeitig wird die Unterstützung für die bürgerliche Exilregierung in London eingestellt. Und auch die polnischen Einheiten sollen aus der englischen Besatzungszone abgezogen werden.
Die ersten Soldaten sind bereits im Mai aus der Armee entlassen worden und haben sich auf den Weg zurück nach Polen gemacht. Filme, die in den Kasernen und Truppenunterkünften in Deutschland vorgeführt werden, zeigen, |123| wie Warschau aus den Trümmern neu aufgebaut wird. Polen, so heißt es, ist ein Land, in dem es Arbeit gibt und eine Zukunft. Auch der Tag des Soldaten, der in der polnischen Exilarmee weiterhin traditionell am 15. August zu Mariä Himmelfahrt begangen wird, steht bereits ganz im Zeichen der Demobilisierung. Am Rande einer großen Militärparade in Meppen mit anschließendem Gottesdienst werden die Panzer, mit denen die polnischen Soldaten weit in den Norden Deutschlands vorgedrungen sind, der britischen Armee übergeben.
Józef ist dabei. Als er am nächsten Morgen zu Marianne geht, müde und verkatert, weil er bis in die Nacht gefeiert hat, hängen frisch gewaschene Bettlaken im Garten auf der Leine. Im Haus schreit ein Kind. Am Tag zuvor ist sein Sohn geboren worden.
|124| F ürstenau ist eine kleine Stadt. Von Anfang an wird über die Tochter des Tischlers geredet, die sich auf einsamen Feldwegen mit einem polnischen Soldaten trifft und dabei ist, wenn in den besetzten Häusern wilde Feste gefeiert werden. Spätestens als Józef anfängt, bei Mariannes Eltern ein- und auszugehen, spricht sich herum, dass sie schwanger ist. Niemand ist überrascht, als man die beiden im Herbst 1946 mit einem Kinderwagen sieht, Józef in Uniform, Marianne stolz in einem neuen, dunkelblauen Kostüm, für das Józef eine Kiste Brandy gegen Kleiderpunkte getauscht hat.
Aus dem frechen Mädchen, das Kaffee und Zigaretten bei den Besatzungssoldaten schnorrt, ist eine junge Frau geworden, die weiß, dass auf sie und ihren Verlobten ein anderes, besseres Leben wartet, weit weg von Fürstenau und von ihren Eltern. Sie schieben den Wagen, in dem Anna vor dem Krieg die kleine Eleonore ausgefahren hat, über die Schotterstraße vor Mariannes Elternhaus und machen Pläne für die Zeit nach Józefs Entlassung aus der Armee.
Ein paar Wochen zuvor hatte General Anders, der Mann, der sich mit seiner Armee von Nordafrika über Monte Cassino bis in den Norden Italiens vorgekämpft hatte, eine Rede gehalten, in der er den polnischen Soldaten wegen der unsicheren politischen Lage in ihrer Heimat von der Rückkehr abriet. Seine Worte, die eine schwere diplomatische Krise |125| zwischen London und der kommunistischen Regierung in Warschau auslösten, waren bis in das polnische Besatzungsgebiet in Deutschland vorgedrungen, zusammen mit verheerenden Nachrichten aus Polen. Der Sicherheitsdienst hatte die Heimkehrer tagelang verhört, ein Teil von ihnen soll direkt im Gefängnis gelandet sein oder auf einem sowjetischen Gefangenentransport in Richtung Sibirien. Der Kalte Krieg hat begonnen, und eine neue Front zieht sich quer durch Europa. In den Augen der kommunistischen Regierung in Polen sind die Soldaten der Exilarmee keine Helden, die gegen Hitler und die Wehrmacht gekämpft haben, sondern Verräter, die gemeinsame Sache mit den Westmächten machen.
Józef und Marianne drehen eine große Runde, vom Haus über die Schotterstraße den Bahndamm entlang bis in den Pottebruch, wo noch die mit Wellblech gedeckten Baracken des Reichsarbeitsdienstes stehen. Ihre
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