Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
jetzt war der Damm gebrochen, den Erienne in ihrem Bewusstsein errichtet hatte, um das Eine in ihrem Körper niederzuhalten. Sie durfte nicht versagen.
Das Eine überflutete ihre Sinne, dämpfte ihr Augenlicht und ihr Gehör. Der Unbekannte sagte etwas in der Art, dass sie eingekreist wären, doch sie nahm es kaum noch wahr, als sich die Energieströme Balaias in voller Pracht vor ihr entfalteten. Sie taumelte und wäre beinahe gestrauchelt, ihre Füße und Beine waren taub, aber irgendjemand hielt sie.
Sie sah die rohe, starke Energie der Felsen, die im Boden pulsierte, die beweglichen, spielerischen Strömungen in der Luft, die von Wind und Sonne verdichtet wurden, die kleinen Entladungen im harten Gras, die komplexe Aura des Raben und der Elfen, und überall die Funken des freien Mana. Sie suchte den Himmel ab und fand die Dämonen.
Eine Wolke vermischter Elemente zerfiel in einzelne Gestalten. Strenge Strukturen des Lebens, aus hartem Mana gemeißelt, ganz anders als die sanften Modulationen der Menschen und Elfen.
Es war genau, wie Cleress es beschrieben hatte, und die Theorie des Spruchs war wie alle Magie des Einen im Grunde sehr einfach. In den unzähligen Energieströmen, die sie ringsum spürte, gab es zahllose natürliche Verbindungen und Verknüpfungen zwischen den Elementen. Sie sah die Strahlen, mit denen die Dämonen das Mana zu einem natürlichen Schild bündelten, der sie für alles außer Magie unverwundbar machte. Sie musste nur diesen Zustrom unterbrechen und das Mana zerstreuen, bis es wieder den natürlichen, ungeordneten Zustand eingenommen hatte.
Erienne hielt einen Moment inne und spürte, wie das Eine in ihrem Körper erwachte. Sie zog es an sich und hielt es in sich fest, während sie den Spruch aufbaute. Vor ihrem inneren Auge bildete sich die Form, und wie in der dordovanischen Magie zog sie auch jetzt Manafäden in die gewünschte Ordnung hinein und bildete ein hauchfeines Netz aus pulsierender dunkelbrauner magischer Energie. Das war der leichte Teil. Jetzt musste sie die Macht des Einen im genau richtigen Maß hinzugeben, um den Spruch zu aktivieren. Cleress’ Worte fielen ihr ein, und sie glaubte fast, die alte Al-Drechar wieder in ihrem Kopf zu hören, obwohl dies wegen der großen Entfernung und der schwindenden Kräfte der alten Elfenfrau kaum möglich war.
Du kannst es nicht berechnen. Es ist kein Spruch mithilfe von Mana, sondern nur eine Konstruktion. Das Mana allein gibt ihm noch keine Kraft, erst das Eine erweckt ihn zum Leben. Du musst zuversichtlich sein, du musst vertrauen und auf deine Gefühle hören. Sei eins mit ihm, lass dich so
weit darauf ein, wie du kannst. Immer bis zum Punkt, an dem die Umkehr nicht mehr möglich ist, aber niemals weiter. Dein Bewusstsein wird es dir sagen. Vertraue deinem Bewusstsein. Vertraue immer deinem Bewusstsein.
Während ihr die Worte durch den Kopf gingen, leitete Erienne die Macht des Einen in ihre Konstruktion und hielt sie in ihrem Bewusstsein fest, damit sie wachsen konnte. Die ganze Zeit über flüsterte das Eine ihr ins Ohr, sie solle mehr Energie hineingeben, sie könne nur gewinnen, wenn sie alles auf einen Schlag freigäbe. Das war ihr ganz persönlicher Dämon, dem sie nicht nachgeben durfte.
Sie sah, wie sich die Fasern der Elementarkräfte ringsum krümmten. Das Eine sog sie begierig auf und benutzte Eriennes Körper als Leiter, während sie ihre eiserne Willenskraft einsetzte, um nicht fortgeschwemmt zu werden. Die Konstruktion pulsierte hell unter der Kraft, die durch Erienne strömte. Sie stöhnte leise. Das Gitter, das sie geflochten hatte, glühte und sonderte einen feinen Nebel ab, in dem jeder Tropfen mit jedem anderen verbunden war.
Dann gab sie den Spruch frei, der sofort aus ihr herausströmte und die ganze Umgebung erfasste. Er stieg in den Himmel empor, bedeckte den Boden hinter ihr und vor ihr. Er fegte am Raben vorbei und hüllte die Dämonen ein, die gerade angreifen wollten. Sie sah das Ergebnis und erkannte, dass die Gegner nicht einmal begreifen würden, was ihnen geschah, wenn der Schlag sie traf.
Der Nebel drang in sie ein, drang tief unter ihre Haut, wo er einfach die Verbindung auflöste, die sie zum Mana unterhielten. Erienne konnte beobachten, wie das Mana sofort aus ihnen herausströmte. Winzige Partikel schimmerten auf einmal zwischen den zahllosen Energiebahnen. Es war für jeden außer ihr unsichtbar, doch wenn sie recht behielt, dann war es tödlich.
Irgendwo hörte sie eine
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