Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
Rezeptoren nahmen eine neue Witterung auf. Mächtig und begehrenswert. Sofort erkannte er es, wie alle es erkannt hätten. Eines der größten Ziele in dieser Dimension. Jeglicher Missmut über seine Verbannung in dieses Provinznest verflog in einer Aufwallung von Vorfreude und Gier.
Er schwebte höher, suchte und rief seine Schar. Er empfand eine unendliche Freude, und seine Nüstern blähten sich, um die kostbare Aura aufzunehmen. Sie waren es. Der Rabe.
»Bist du sicher, dass du das machen willst?«, fragte Hirad, als sie an Land gingen.
Auums Tai und Rebraal sowie Vituul und Eilaan, zwei Elfenmagier vom Schiff, waren bis auf die nächste Anhöhe gerannt, um die Umgebung zu erkunden. Der Rabe hatte sich unterdessen an der provisorischen hölzernen Anlegestelle um Thraun gruppiert.
»So haben wir bessere Chancen«, sagte Thraun. Er knöpfte sein Hemd auf und gab es Hirad.
Der Barbar stopfte es zusammen mit den Stiefeln in seinen Rucksack. Der Unbekannte hatte sich bereits Thrauns Waffen auf den Rücken geschnallt.
»Ich weiß. Aber ich kann dich doch nicht gehen lassen, ohne dich an das zu erinnern, was beim letzten Mal passiert ist.«
Thraun erwiderte gleichmütig seinen Blick, in seinen Augen flackerte der Schmerz der Erinnerung.
»Ich werde nie vergessen, warum Will gestorben ist. Dies hier ist etwas anderes. Hier geht es um Geschwindigkeit, nicht um Verstohlenheit. Das weißt du doch.«
»Bist du sicher?«
Thraun legte Hirad die Hände auf die Schultern. »Mir
wird nichts passieren. Bring nur meine Sachen mit, und sei rechtzeitig da, um mich zurückzurufen.« Er zog die Hose aus und gab sie dem Barbaren. »Und jetzt geht los und seht nicht zurück.«
»Komm schon, Hirad«, sagte der Unbekannte. »Bringen wir’s hinter uns.«
Hirad nickte, und der Rabe nahm Aufstellung, wobei die Formation etwas abgeändert werden musste, da der Gestaltwandler fehlte. Die Elfen bildeten die Vorhut und konnten sie warnen, die Protektoren blieben an Bord des Schiffs, weil ihre Seelen für die kommenden Schlachten geschont werden sollten. Erienne und Denser sollten erst Sprüche vorbereiten, wenn sie angegriffen wurden. Der Fußmarsch nach Blackthorne würde zwei Stunden dauern. Eine lange Zeit in einem Land, das von Dämonen besetzt war.
Ein Land, durch das Hirad schon oft gereist war, das er inzwischen aber kaum noch wiedererkannte. Wie früher wuchs das Gras in zahlreichen Gelb- und Grüntönen. Die knospenden jungen Bäume schwankten in der Brise, wilde Blumen hatten das sanfte Hügelland mit prächtigen Farben überzogen. Dennoch erschien das Land seinen Sinnen fremd vor. Im ersten Augenblick konnte er es nicht verstehen, doch nach und nach dämmerte es ihm.
Die gewohnten Lebenszeichen fehlten. Auf dem offenen Meer hatten sie Möwen gehört, hier schwiegen die Vögel. Nur eine Brise raschelte im Unterholz. Die Nagetiere hielten sich versteckt. Kein fernes Blöken oder Muhen war zu hören. Und es war kalt. Die Kälte passte nicht zur Jahreszeit und hatte etwas Bösartiges an sich. Es war, als wären die Jahreszeiten durcheinandergeraten und hätten die Pflanzen veranlasst, wie im Frühling zu blühen, obwohl die Tiere noch nicht aus dem Winterschlaf erwacht waren.
Dann fiel ihm die Antwort ein und stärkte seine Entschlossenheit. Balaias Seele schwand dahin.
Der Rabe schritt rasch aus, geschützt von den Elfen, deren Augen nichts entging. Es war sinnlos, sich zu verbergen, da die Dämonen sowieso nicht mit ihren Augen allein die Gegend überwachten. Ein schnelles Marschtempo konnte ihnen aber durchaus helfen.
Auf dem Hügel vor ihnen gab es nichts außer Stechginster, winterharten Büschen und losem Schiefer. Blackthorne lag am Rand eines Schwemmlandes, das sich nach Süden bis zum Meer erstreckte, jedoch auch bei Überflutungen weitgehend trocken blieb, weil der Felsgrund unter der Erde porös war und das Wasser bis tief in die Erde ableitete. Die Stadt würden sie erst auf der letzten Meile ihrer Wanderung sehen, doch jetzt schon konnten sie Rauchfahnen am sonst klaren Himmel ausmachen. Die winzigen kreisenden schwarzen Punkte mussten Dämonen sein.
Hirad schauderte. Hinter ihm bewegte sich etwas eilig durchs Unterholz. Ohne den Schritt zu verlangsamen, sah Hirad sich um. Thrauns dunkle, geschmeidige Wolfsgestalt näherte sich, er trabte ohne Anstrengung durch den Farn. Wachsam sah er sich um, schnüffelte mit der langen, gestreiften Schnauze und kostete mit der Zunge, die lang zwischen den kräftigen
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