Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
Rückseite des Labyrinths auch nur aus eigener Starrköpfigkeit ertrunken.
Ich saß gegenüber dem riesigen Obsidianstück und fragte mich, wie viele Menschen wohl schon vor mir hier gesessen hatten. Das hephestische Glas war schön; es spiegelte das Licht der Lampe wider, die neben mir stand. Auch mein eigenes Spiegelbild war sichtbar, verzerrt von den Wölbungen und Rillen im Obsidian. Ich beobachtete einen Augenblick lang das Bild der brennenden Flamme und dachte wieder, wie sehr das Glas einem Fenster bei Nacht glich, in dem sich die Lichter des Hauses spiegelten und so die dunkle Welt jenseits der Scheibe unsichtbar machten. Gleich einem Fenster – oder einer Tür.
Ich stand auf und vergaß meine schmerzende Hand. Das Obsidianstück war mindestens so groß wie eine zweiflüglige Tür, obwohl Adern massiven Gesteins hindurchführten. Ich strich mit den Händen über die spiegelglatte, schwarze Oberfläche und drückte mir die Nase daran platt, um hindurchzublicken. Dort gab es nichts als Schwärze. Ich hob mein Stemmeisen auf, hielt den Atem an und schmetterte es gegen das Glas.
Das Stemmeisen prallte ab, ließ aber einen kleinen Obsidianbrocken absplittern. Ich wandte das Gesicht ab und holte noch einmal kräftiger aus. Größere Glasstücke brachen heraus, und als ich mich wieder umdrehte, gingen lange Risse sternförmig von der Stelle aus, an die ich mein Stemmeisen geschmettert hatte – und dort, wo die Risse aufeinandertrafen, befand sich ein kleines Loch, nicht größer als ein Knopf. Ich steckte die Fingerspitze hindurch, wobei ich mich vor den scharfen Kanten in Acht nahm, und wackelte mit dem Finger in dem Freiraum auf der anderen Seite.
Indem ich das Gesicht erneut abwandte, schlug ich mit dem Stemmeisen wieder und wieder gegen die Glastür, bis ich spürte, wie etwas abbrach und auf dem Steinboden in Stücke zersprang. Ich sah hin und erkannte, dass ein Stück, das größer als ein Brustpanzer war, zu meinen Füßen zersplittert war. In der Luft hing Staub, der mir in den Augen brannte. Ich hob die Lampe, um das Licht durch das Loch vor mir fallen zu lassen. Dahinter lag kein Zimmer, aber der Freiraum, der sich meinen Berechnungen nach hinter der gegenüberliegenden Wand des Ganges hätte befinden müssen. Verwirrt über meinen Fehler sah ich mich einen Moment lang um. Dann blickte ich noch einmal durch das Loch im Obsidian. Dahinter begann eine steile Treppe mit zwölf Stufen, die nach oben führten. Der Raum darüber lag außerhalb der Reichweite meines kleinen Lichts.
Mit gezielteren Schlägen meines Stemmeisens vergrößerte ich die Öffnung zwischen den massiven Gesteinsadern. Obsidianstücke, die größer als Servierplatten waren, brachen heraus, und ich senkte sie vorsichtig zu Boden. Dann riss auf einmal ein Schlag meines behelfsmäßigen Hammers die ganze Tür nieder. Die Felsadern zerbrachen zu faustgroßen Steinen, und ein riesiges Stück Glas löste sich und sauste herab. Splitter flogen wie Geschosse umher. Ich machte einen Satz rückwärts und barg mein Gesicht in beiden Armen. Als der Staub sich legte, ließ ich die Arme sinken und blickte durch eine unregelmäßige Öffnung, die beinahe so breit war wie eine zweiflüglige Tür, zu der Treppe, die den Raum dahinter ausfüllte. Die Stufen waren etwa acht Fuß breit, wie der Magus und mein Grundriss es vorhergesagt hatten. Ich hatte allerdings keine Ahnung, weshalb sie auf dieser Seite des Ganges lagen, wo die Wand nur zwei Fuß tief war.
Ich hatte meine Lampe wieder fallen lassen, aber sie brannte noch. Ich hob sie auf und tastete mich durch den Schutt aus Obsidian und anderem Gestein, um dann die Treppe hinaufzusteigen. Die Lampe war rund und bauchig, etwas länger, als sie hoch war, mit flachem Boden und zwei weiteren flachen Stellen auf der Seite, auf die ich sie hatte fallen lassen. Sie besaß eine angedeutete Tülle mit einem Loch für den Docht, aber keinen Griff. Sie lag auf meiner Handfläche; das Messing wurde immer wärmer, die Lampe leichter, während das Öl darin verbrannte. Zu dem Zeitpunkt war nur noch sehr wenig Öl übrig, und die Lampe war leicht. Ich hielt sie über Augenhöhe, damit sie ihren spärlichen Lichtschein vor mich warf. Es gab keine Hindernisse. Im Hinaufsteigen hielt ich den Blick auf die Stufen gerichtet, und so bemerkte ich erst, als ich oben angekommen war und mich umsah, dass der Raum voller Leute war.
Sie standen locker gruppiert beiderseits eines offenen Mittelgangs. Sie waren vollkommen
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