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Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)

Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)

Titel: Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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Welt ausnahm. Ich hatte keine Schwierigkeiten, die Anweisung des Gottes zu verstehen. Ich konnte mich nur einfach nicht rühren.
    Mir hatten wohl die Nerven versagt. Es lag nicht einmal so sehr an der Furcht vor der Vergeltung durch einen Blitzschlag, die folgen mochte, sondern an der Religion, die meine Kindheit durchtränkt hatte, ohne dass ich es so recht bemerkt hatte. Die Vorstellung, der Großen Göttin etwas zu stehlen, war zu entsetzlich, als dass ich auch nur daran hätte denken können, und ich brachte es nicht fertig.
    Ich konnte mich aber auch nicht umdrehen und fliehen. Ich war etwas überrascht, als wie stur ich mich erwies, aber ohne Hamiathes’ Gabe würde ich nicht gehen. Sie war zu wichtig. Von ferne hörte ich das Schleifen und Klappern kleiner Kiesel, als das Wasser wieder durch das Flussbett über uns zu strömen begann, aber ich blieb so reglos wie die Götter, die ich fälschlich für Statuen gehalten hatte. Nur meine Augen bewegten sich, als ich von dem kleinen, grauen Stein auf dem Tablett zu Eugenides’ Hand und dann zu seinem Gesicht blickte. Und dann sah ich – weil ich fand, dass ich, wenn ich schon sterben musste, zumindest etwas tun könnte, was sehr wenige Menschen getan hatten, seit die Welt erschaffen worden war – der Großen Göttin in die Augen, und kurz erwiderte sie meinen Blick. Das genügte.
    Aus meiner Lähmung entlassen, beugte ich mich ein wenig weiter vor und nahm den Stein von dem spiegelnden Tablett. Dann wandte ich mich ab und lief davon. Mit dem Rauschen des Wassers in den Ohren rannte ich zur Treppe, vorbei an den Göttern, die gleichgültig zusahen. Ich hob den Kopf nur ein einziges Mal, um nach Moira Ausschau zu halten, aber sie war in der Menge verborgen.
    Als ich die Treppe erreichte, sprang ich die ersten beiden Stufen hinab und stolperte die übrigen hinunter. Ich prallte gegen die Wand gegenüber der untersten Stufe und ließ die Lampe fallen. Ich blieb nicht stehen, um sie aufzuheben. Nach drei Nächten im Labyrinth brauchte ich sie nicht mehr. Ich fuhr mit den Händen – eine umschloss zur Faust geballt Hamiathes’ Gabe – an den Wänden entlang und rannte weiter. Als die Wand zu meiner Linken endete, bog ich links ab, dann rechts und wieder rechts, dann links und noch einmal links, und eilte auf die Türen zu, die ich aufgekeilt hatte und die sich wieder geschlossen hatten. Ich malte mir aus, wie Aracthus irgendwo eine Gebärde machte und ein wenig zusätzliches Wasser durch die Klippe strömen ließ, um meine Steinklötze wegzuspülen. Vielleicht würde es ihm noch gelingen, mich zu fangen. Das Wasser, das durch das Gitter in der Tür strömte, umspülte sechs Zoll hoch meine Beine. Ich fragte mich, wie viele Diebe schon so weit gekommen und doch ertrunken waren. Würden meine Knochen im Teich auf der Rückseite des Labyrinths enden? Würde die Obsidiantür wiederhergestellt werden und Hamiathes’ Gabe auf ihr Spiegeltablett zurückkehren?
    Wenn ich mein Werkzeug hätte fallen lassen, wäre es im Wasser verschwunden, aber das geschah nicht. Das Wasser hinter der Tür war zwölf Zoll hoch und stieg auf beinahe zwei Fuß, bevor ich die nächste Tür erreichte. Ich öffnete das Schloss und trat zurück, als das Wasser die Tür aufdrückte. Im Vorraum war das Wasser hüfthoch, und die Wellen, die das Wasser verursachte, das in einer massiven Säule durch das Loch in der Decke herabdonnerte, reichten mir bis an die Brust. Die Säule trug einen Funken Mondschein von oben herein, aber die Kammer selbst war so dunkel wie das Labyrinth. Ich schob mich vorsichtig nahe an der Wand um die Säule herum, aber ich rutschte auf der obersten Stufe der Treppe aus, die zur Außentür führte, und glitt unter Wasser weiter, bis ich gegen die Steintür gepresst wurde, ohne atmen zu können.
    Ich mühte mich ab, mich umzudrehen und irgendwo Halt zu finden, um meinen Kopf aus dem Wasser zu recken, aber der Fluss hielt mich auf dem Rücken und drückte meinen Schädel hinab. Ich tastete mit den Händen um mich, fand aber nichts, was meinem Körper als Hebel gegen die Kraft des Wassers hätte dienen können. Der Fluss schäumte um mich herum. Mir ging die Luft aus. Eine Dunkelheit, die tiefer als der Fluss war, verschlang mich.

Kapitel 10

    Als ich erwachte, war die Sonne aufgegangen, und der Tag war schon warm. Ich lag auf dem sandigen Ufer des Aracthus, die Füße noch immer im Wasser. Der Fluss hob sie an und zog sanft an ihnen, aber nicht so, als ob er immer noch

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