Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
reichte den Stein wieder mir. Ich ließ ihn kurz auf der Handfläche springen. Er bildete ein rundliches Oval und hatte, wie ich fand, genau die richtige Größe, um mit einer Schleuder verschossen zu werden. Aber als ich die Buchstaben genauer betrachtete, die in die Seite eingemeißelt waren, sah ich die Sonne auf etwas Blauem unterhalb der Gravierung glitzern.
»Es ist ein Saphir«, sagte ich, »zumindest teilweise.« Ich spähte durch das Loch, das von oben nach unten durch den Stein gebohrt war, drehte ihn dann um und konnte bei genauerem Hinsehen erkennen, wo das Wasser den Stein glattgespült und ein paar blaue Stellen des Edelsteins in seinem Innern freigelegt hatte.
»Es gibt eine Beschreibung davon in den Schriftrollen des Hohepriesters von Eddis«, sagte der Magus. »Wann auch immer jemand einen Stein vorlegte, verglich der Hohepriester ihn mit der Beschreibung aus der Schriftrolle. Niemand außer dem Priester vermochte die Beschreibung zu lesen, und so legte niemand je eine überzeugende Kopie vor. Wahrscheinlich, weil jemand, der schon so reich und mächtig ist wie der Hohepriester von Eddis, schwer zu korrumpieren ist.«
»Oder er ist bereits korrupt und will seine Macht nicht teilen«, sagte ich.
»Aber Ihr kennt die Beschreibung?«, fragte Sophos den Magus.
»Ja.«
»Wie das?«, fragte ich.
»Mein Vorgänger hat als Gesandter eine Reise nach Eddis unternommen und bei der Gelegenheit den Hohepriester aufgesucht. Er schenkte ihm eine mit Drogen versetzte Flasche Wein und ging dann seine Bibliothek durch, während der Priester bewusstlos war. Er hielt die Beschreibung des Steins damals nicht für besonders wichtig, aber ich fand sie nach seinem Verschwinden in seinen Aufzeichnungen.«
Ich erschauerte bei dem Gedanken daran, einen Hohepriester zu vergiften. Für die Art von Verbrechen stürzte man immer noch Menschen vom Berg.
»Du bist nass, Gen«, sagte der Magus, der mein Zittern missdeutete. »Zieh dir trockene Kleider an und nimm dir etwas zu essen. Danach würde ich, wenn du die Kraft dazu hast, gern die Dystopie zumindest zum Teil durchqueren. Der Rest unseres Proviants ist bei Ambiades.«
Also aß ich den Rest des Dörrfleischs. Das Brot war aufgebraucht. Sophos füllte mir einen Becher mit Flusswasser und stellte ihn beiseite, bis der Schlick sich abgesetzt hatte. Ich hatte mein Haarband wieder einmal verloren und bat deshalb Pol um eine Schnur. Er bot mir zwei Lederriemen an; einer war länger als der andere. Ich band mir das Ende des Zopfs mit dem längeren zusammen und bewahrte den kürzeren zum späteren Gebrauch auf. Dann begannen wir unseren Rückweg durch die Dystopie. Der Magus trug Hamiathes’ Gabe um den Hals. Schon ein paar Stunden, nachdem ich sie gestohlen hatte, hatte sie meine Hände wieder verlassen.
Als die Sonne gegen Mittag heiß wurde, krochen wir in den Schatten überhängender Felsen und schliefen für ein paar Stunden. Bei Sonnenuntergang erreichten wir den Rand der Olivenhaine, aber wir waren immer noch über eine Meile oberhalb des Lagerplatzes, an dem wir Ambiades zurückgelassen hatten. Der Himmel war noch hell, während wir nach Süden wanderten, aber die Haine waren dunkel. Durch die Dunkelheit sahen wir Ambiades’ Feuer lodern.
Der Magus schüttelte den Kopf. »Er muss ja unbedingt ein Feuer entfachen, das man auf fünfzig Meilen Entfernung sieht!« Er schickte Pol voraus, um es zu löschen oder die lodernden Flammen zumindest einzudämmen. Und so hatte Ambiades, als der Magus, Sophos und ich die Lichtung erreichten, schon die erste Überraschung darüber verwunden, dass wir lebendig zurückkehrten.
»Ich dachte, ihr wärt alle tot«, sagte er. Er gab nicht zu, dass er das Feuer so hell hatte brennen lassen, weil er Angst gehabt hatte, dass unsere Geister durch die Dystopie zurückgewandert kommen würden. Während wir fort gewesen waren, hatte er einen Großteil des Proviants verzehrt, aber der Magus ersparte ihm jegliche Strafpredigten, und wir gingen alle schlafen. Ich wachte nicht auf und sah so auch nicht, ob irgendjemand meinetwegen Wache hielt. Ich rührte mich nicht, bis die Sonne aufgegangen war, und ich hörte, wie Ambiades sich durchs Lager bewegte und das Durcheinander aufräumte, das er in unserer Abwesenheit angerichtet hatte. Es gab nichts zum Frühstück.
Der Magus plante, am Rand des Olivenmeers entlangzuwandern, bis wir den nächsten Ort erreichten, um Essen für uns selbst und etwas Futter für die Pferde zu kaufen. »Wir werden
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