Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
Flüstern auf. Ich befestigte die Leinen an ihren Halftern und öffnete dann die Türen zu ihren Ständen, vorsichtig, so dass keine quietschte; ich begann mit der, die am weitesten von dem Stallknecht entfernt war. Die Pferde standen auf. Verwirrt darüber, zu dieser seltsamen Stunde gestört zu werden, gaben sie kleine, fragende Geräusche von sich, aber keines war laut genug, den Knecht zu wecken.
Sobald alle Türen offen waren, kehrte ich zu meinen fünf Auserwählten zurück und führte die erste hinaus. Als ich sie am Stand meiner nächsten Wahl vorbeiführte, beugte ich mich hinein, um an der Leine zu ziehen, die vom Halfter dieser Stute hing. Sie folgte gehorsam ihrer Stallgenossin aus ihrem Stand den Gang hinunter. Die anderen Pferde kamen auf die gleiche Weise heraus. Bald bildeten alle fünf eine Linie, und die zurückgelassenen Pferde reckten die Köpfe aus ihren Ständen und fragten sich, was sie verpassten.
Ich stand an der Stalltür und sah auf den kopfsteingepflasterten Hof hinaus, auf dem die Hufe der Pferde dröhnen würden, als sei der Weltuntergang gekommen. Dann warf ich einen Blick zurück zu dem schlafenden Knecht. Er würde den Lärm nur verschlafen, wenn er wirklich sehr betrunken war, und es gab keine Möglichkeit herauszufinden, wie viel in der Flasche gewesen war, als er sie zu leeren begonnen hatte. Es gab zwar eine offensichtliche Lösung, aber ich war nur ein Dieb und kein Mörder.
Ich betete hastig zum Gott der Diebe, die Pferde leise und den Knecht sturzbetrunken sein zu lassen; dann huschte ich hin und her, bis ich alle fünf Leinen in den Händen hielt, und führte die Pferde ins Freie.
Die Stille war so vollkommen, dass ich mich umsah, um sicherzugehen, dass die Pferde mir auch folgten. Mir war noch nicht der Gedanke gekommen, dass die Götter, die ich so stumm und ungerührt in ihrem Tempel gesehen hatte, weiterhin Interesse an mir haben könnten. Ich stieß beinahe mit der Stute direkt hinter mir zusammen. Sie warf überrascht den Kopf hoch, machte aber kein Geräusch. Ich trat zurück, und sie folgte. Ihre eisernen Hufeisen trafen lautlos aufs Kopfsteinpflaster. Ich fürchtete, dass ich taub geworden sein könnte, und ging rückwärts vom Hof. Hinter meinen Pferden kamen die anderen aus dem Stall. Sie schlüpften aus dem Tor des Gasthofs und verschwanden wie Gespenster in unterschiedlichen Straßen. Wenn der Knecht aufwachte, würde er erst die gesamte Stadt absuchen müssen, bevor er feststellen konnte, dass fünf der ihm anvertrauten Pferde ganz fehlten.
Am Stadttor fand ich Pol vor, der über den Körper eines Wachsoldaten gebeugt stand.
»Hast du ihn getötet?« Meine Lippen formten die Worte, ohne zu sprechen.
Pol schüttelte den Kopf. Wie der Stallknecht schlief auch der Wächter. Pol nahm vier der Pferde, zwei Leinen in jede Hand, und überließ es mir, nur eines den grasigen Hang neben der Straße hinauf, zwischen zwei Häusern hindurch und dann über die Felder zu führen.
Wir erreichten den Schutz einiger Bäume; die drei anderen warteten dort auf uns.
»Gab es Schwierigkeiten?«, fragte der Magus, und der Bann der Stille zerbarst schlagartig.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich, »keine Schwierigkeiten.« Abgesehen davon, dass ich herausgefunden hatte, wie sehr ich darauf erpicht war, die Aufmerksamkeit der Götter schnellstmöglich wieder loszuwerden.
Sophos nahm mir die Leine aus den Händen und führte mein Pferd beiseite, um es zu satteln.
Pol fragte mich: »Alles in Ordnung mit dir?«
Ich nickte.
Er nahm mich beim Ellbogen und spürte, dass ich zitterte. »Bist du sicher?«
Ich nickte erneut. Wie hätte ich ihm auch erklären können, dass dies eine ganz gewöhnliche Reaktion darauf war, dass die Götter mein unbedachtes Gebet erhört hatten? Die Lautlosigkeit der Pferde war unermesslich verstörender gewesen als das Schweigen der Götter in ihrem Tempel. Vielleicht, weil der Stall Teil meiner Welt gewesen war und der Tempel nicht. Ich weiß es nicht. Zum ersten Mal seit langer Zeit musste Pol mir aufs Pferd helfen.
Wir waren erst eine Stunde von Kahlia entfernt, als eine kalte, feuchte Brise meinen Hals streifte und ich mein Pferd zügelte, um dem Klang des Tempelgongs zu lauschen, der durch die Nacht dröhnte.
»Was ist das?«, fragte Ambiades, nachdem auch die anderen angehalten hatten.
Wahrscheinlich Aracthus, der immer noch seine Aufgabe erfüllt , dachte ich. »Der Stallknecht ist erwacht«, sagte ich und rammte dem Pferd
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