Die Leibwächterin (German Edition)
Außenbordmotor zu stehlen. Da Frida an Menschen gewöhnt war, hätte sie dem Dieb nicht mehr Schaden zugefügt als eine Hauskatze, aber sie hatte Onkel Jari geweckt. Dessen Flinte war zwar nicht geladen, doch der Anblick des Mannes, der mit der Waffe im Arm zum Bootssteg rannte, hatte genügt, um dem Übeltäter, einem Nachbarjungen, einen gewaltigen Schreck einzujagen.
Nachdem ich in der Mikrowelle zwei Piroggen aufgewärmt und dazu ein Bier getrunken hatte, legte ich mich schlafen. In einem Geschäft für Wanderausrüstung hatte ich vor Monaten einen superleichten, auf Taschentuchgröße faltbaren Bettbezug gekauft, der als Innenfutter für Schlafsäcke gedacht war. Ich trug ihn immer bei mir, er war mein persönliches Nest. Als ich mich auf die Matratze legte und die Decken über mich zog, stieg mir ein fremdartiger Geruch in die Nase. Offenbar hatte Hakkarainens Frau die Bettwäsche mit parfümiertem Waschpulver gewaschen.
Ich erinnerte mich daran, wie der Fußboden unter Fridas Pfoten geknarrt hatte. Sie hatte von Anfang an neben mir schlafen wollen, was Onkel Jari damit erklärte, dass meine Körpertemperatur höher sei als seine. Anfangs war Frida kleiner gewesen als ich, aber schon im Frühjahr hatte sie meine Größe erreicht. Selbst bei stärkstem Frost hatte ich nur eine Decke gebraucht, weil Frida mich wärmte. Wenn ich die Erinnerung wachrief, spürte ich das weiche Fell an meinen Zehen, nahm ihren nach faulem Fleisch riechenden Atem wahr. Frida war meine Schwester gewesen … Ich schlief neben ihr ein, wie so oft zuvor.
Lautes Hupen und ein gellender Aufschrei weckten mich. Ich nahm die Pistole von dem Stuhl, der mir als Nachttisch diente. Es war schon hell, die Uhr zeigte kurz nach sieben. Ich blickte zum Fenster hinaus und sah eine vertraute Gestalt, die rückwärts davonlief. Maija Hakkarainen. Die Alarmanlage, die an den Bewegungsmelder angeschlossen war, hatte sie erschreckt.
«Maija!», rief ich ihr nach. Der Korb, den sie mir hatte bringen wollen, war auf die Treppe gefallen, Eigelb lief heraus. Wie hatte ich nur vergessen können, dass die Hakkarainens im Rhythmus ihrer Kühe lebten und jeden Morgen um fünf Uhr aufstanden? Maija hatte sich aus purer Gutmütigkeit auf den Weg gemacht, um mir frische Zutaten für mein Frühstück zu bringen. Ich steckte die Pistole in die Tasche meines Schlafanzugs und lief auf bloßen Füßen hinter Maija her.
«Maija! Ich bin’s, Hilja! Du brauchst keine Angst zu haben.» Maija Hakkarainen war schon über sechzig und schlecht zu Fuß, es fiel mir nicht schwer, sie einzuholen. Ich schob den schrecklichen Lärm auf die Alarmanlage des Mietwagens und hoffte, dass Maija die faule Ausrede schluckte. Immerhin nahm sie meine Einladung zum Kaffee an. Glücklicherweise war nur ein Ei zerbrochen, und die Milchflasche war so fest zugeschraubt, dass kein Tropfen ausgelaufen war.
«Warst du wieder in Amerika?», erkundigte sich Maija, für die es damals eine Sensation gewesen war, dass ich zur Ausbildung nach New York ging. Als ich ihr erzählte, dass ich mich in letzter Zeit hauptsächlich in Russland aufgehalten hatte, klagte sie über den Georgien-Krieg und darüber, dass Hevonpersiinsaari viel zu nah an der Ostgrenze lag. Das könne nicht gutgehen. Doch sie hatte auch eine erfreuliche Nachricht: Die Stute Tähti, deren Mutter vor vielen Jahren mein Lieblingspferd gewesen war, hatte vor zwei Wochen gefohlt. Ich versprach, sie zu besuchen, sobald ich Zeit hatte.
Dann gab ich Maija meine Mitbringsel. Sie meinte, Matti werde sich über den Rum freuen und sie werde aufpassen, dass er nicht zu viel auf einmal trank. Nachdem sie gegangen war, schaltete ich den Fernseher ein, obwohl es mir immer noch seltsam vorkam, dass es hier am Ende der Welt eine Flimmerkiste gab. Die Nachrichtensendung fing gerade an, und der Sprecher sagte mit ernster Miene:
«In Moskau wurde eine finnische Geschäftsfrau getötet. Ihre Leiche wurde am Dienstagmorgen in der Nähe der Metrostation Frunzenskaja gefunden. Die Moskauer Miliz ermittelt.»
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3
Obwohl der Name des Opfers nicht erwähnt wurde, war ich sicher, dass es sich um Anita handelte. Die Puzzlestücke passten einfach zu gut zusammen. Der Kaffee wollte mir hochkommen, mir wurde schwindlig. «Getötet in der Nähe der Metrostation Frunzenskaja.» Von der Tatwaffe und der genauen Tatzeit war nicht die Rede gewesen, aber Anita musste auf jeden Fall vor Dienstagmorgen umgebracht worden sein. Da war ich noch
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