Die Leibwächterin (German Edition)
ich fürchtete, die Polizei würde versuchen, mein Handy zu orten. Nachdem ich den Wortlaut der englischsprachigen Drohung aufgeschrieben und auf dem USB-Stick gespeichert hatte, auf dem ich auch meine Informationen über Paskewitsch aufbewahrte, löschte ich die Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Dann sah ich mir meine früheren Aufzeichnungen über die Verbindungen zwischen Anita und Paskewitsch an. Im letzten Jahrzehnt vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte Paskewitsch im Dienst des KGB gestanden, doch im Chaos-Kapitalismus unter Jelzin war er hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, so viel Vermögen zusammenzuraffen, wie er nur konnte. Jetzt war er ein sogenannter Silowik, das heißt, er gehörte der von Präsident und Premierminister protegierten herrschenden Schicht an, die praktisch über dem Gesetz stand. Paskewitsch besaß eine Villa in Bromarv bei Tammisaari, die ihm einen guten Vorwand bot, ab und zu nach Finnland zu kommen. Einen Monat vor unserer letzten Reise nach Moskau hatte er Anita ein Treffen vorgeschlagen, angeblich, um sich mit ihr zu versöhnen. Doch Anita hatte abgelehnt, denn sie hatte eine Falle gewittert.
Ich nahm mein Reserve-Handy, legte eine Prepaid-Karte ein und rief Riikka an, doch sie meldete sich nicht. Also nutzte ich das Zweitgerät, um über meine Hotmail-Adresse an Monika zu schreiben; die Polizei würde nicht ohne weiteres die Genehmigung erhalten, meine E-Mails zu überprüfen. Ich schrieb Monika, dass ich meinen Job bei Anita aus Wut gekündigt hatte und dass Anita nun tot war. Ich vermisste Monika sehr. Nach Onkel Jaris Tod war sie meine wichtigste Stütze gewesen, so etwas wie große Schwester und Tante in einer Person. Ihr Restaurant Chez Monique hatte sich ungeachtet des französischen Namens auf finnisch-skandinavische Küche spezialisiert und verarbeitete vorwiegend Zutaten aus regionalem und ökologischem Anbau. Für Monika war Essen eine politische Angelegenheit, und mit dieser Einstellung hatte sie offenbar einige Konkurrenten nervös gemacht. Zuerst hatte jemand die Sicherungen für die Kühlkammer herausgedreht, sodass Vorräte im Wert von mehreren tausend Euro verdarben. Dann erkrankten einige Gäste des Restaurants, und es stellte sich heraus, dass eine Lieferung Ziegenkäse mit Salmonellen verseucht worden war. Da beschloss Monika, eine Wächterin einzustellen. Ich war gerade frei und nahm gerne an. Es war nämlich nicht immer leicht für mich, Auftraggeberinnen zu finden, weil Ministerinnen zum Beispiel Personenschutz von staatlicher Seite erhielten.
Nicht lange nachdem ich meinen Dienst im Chez Monique angetreten hatte, offiziell als Portier und Ordnungskraft, versuchte jemand, Monika zu vergiften. Glücklicherweise roch ich an der Teetasse, bevor Monika daraus trank. Der Zyanid-Geruch war unverkennbar. Monika wollte die Polizei nicht alarmieren, weil sie fürchtete, Gäste zu verlieren, wenn die Öffentlichkeit von dem Anschlag erfuhr. Nach dem Vorfall kostete ich von allen Speisen und Getränken, die nicht vom Anfang bis zum Ende unter Monikas Aufsicht zubereitet worden waren. Drei Tage nach dem Giftanschlag meldete sich eine der beiden Kaltmamsells krank und kam nicht mehr zurück. Obwohl die Sabotage danach aufhörte, behielt Monika mich weiterhin auf der Gehaltsliste. Wir mochten uns, und neben meiner Tätigkeit als Wächterin machte ich mich als Mädchen für alles und Fahrerin nützlich. Da Monika Finnlandschwedin war, sprachen wir meist Schwedisch miteinander, was mir nur recht war, denn so kam ich in der zweiten Landessprache nicht aus der Übung.
Mike Virtue wäre wütend geworden, wenn er gewusst hätte, dass ich mich nach allem, was ich bei ihm gelernt hatte, mit solchen läppischen Jobs zufriedengab. Die Arbeit bei Monika war beinahe eine Art Urlaub, und ich wusste, dass sie mir früher oder später langweilig werden würde. Als Monika dann beschloss, ihr Leben völlig umzukrempeln und nach Mosambik zu gehen, in eins der ärmsten Länder der Welt, war ich darum sogar ein bisschen erleichtert, obwohl ich mir eine neue Stelle suchen musste. Monika war Idealistin. Ihrer Meinung nach hatten alle Anspruch auf gutes Essen, unabhängig vom Geldbeutel, und sie wollte das Geld, das wohlhabende finnische Feinschmecker ihr eingebracht hatten, an hungernde Menschen weitergeben. Ihre Entscheidung war ein Medienereignis und sorgte auch außerhalb Finnlands für Diskussionen. Vielen war es unbegreiflich, dass sie ihr längst zum Begriff gewordenes
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