Die Leibwächterin (German Edition)
in Moskau gewesen. Aber ich konnte mich nicht entsinnen, mich am Montag auch nur in der Nähe der Frunzenskaja aufgehalten zu haben. Sie lag im Südwesten der Stadt, und wir waren im Osten unterwegs gewesen. Allerdings hatte ich auch sonst keinerlei Erinnerung an die Stunden zwischen Montagabend und Dienstagnachmittag.
Anitas Kopftuch lag immer noch in meinem Rucksack. Wie in aller Welt war es bei mir gelandet? Ich nahm es heraus und überlegte, ob ich es im Saunaofen verbrennen sollte. Wenn ich die Asche in den See warf, würde mir niemand nachweisen können, dass das Tuch jemals in meinem Besitz gewesen war.
Ich schaltete mein Handy an und legte den Sim-Chip für den Anschluss ein, dessen Nummer ich Anita gegeben hatte. Sie hatte nichts von sich hören lassen. Dafür waren etwa ein Dutzend andere Anrufe gekommen, der letzte von meiner Mitbewohnerin Riikka, die auch auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen und mir eine SMS gleichen Inhalts geschickt hatte:
«Hallo, Hilja, die Polizei hat nach dir gefragt, aber nicht verraten, warum. Ich habe gesagt, ich weiß nicht, wo du bist, vielleicht dienstlich im Ausland. Hauptmeister Teppo Laitio von der Zentralkripo bittet dich, ihn unter der Nummer 071–8787 007 anzurufen oder ihm eine Mail zu schicken, Vorname.Nachname at poliisi.fi.»
Die finnische zentrale Kriminalpolizei hatte unter anderem in Moskau und in Sankt Petersburg einen Vertreter, doch keiner der beiden hieß Laitio. Die hiesige Polizei würde mich nicht so leicht auftreiben. Natürlich war ich eine der Hauptverdächtigen, aber wie sollte ich die Fragen der Kripo beantworten, wenn ich keine Ahnung hatte, was ich zur Tatzeit getrieben hatte? Hauptmeister Laitio hatte auf Band gesprochen und gesimst und mich zweimal angerufen. Schon vorher war ein Anruf von einem unbekannten Anschluss gekommen. Auch dieser Anrufer hatte eine Nachricht hinterlassen:
«You don’t have any idea who is behind your boss’s murder. No idea, if you don’t want to end up as dead as those lynxes on your boss’s fur coat. You understand?»
Der Mann, der mir diese Drohung auf die eigene Mailbox gesprochen hatte, sprach mit starkem russischem Akzent, der jedoch leicht nachzuahmen war. Er konnte ebenso gut Finne, Este oder Pole sein. Ich überlegte, ob ich seine Stimme eventuell in der Bar Swoboda gehört hatte, konnte mir die Stimmen der Gäste aber nicht exakt ins Gedächtnis rufen. Ich hatte mich darauf konzentriert, die Männer zu ignorieren, statt mir ihre Eigenschaften einzuprägen. Das war ein Fehler gewesen.
Ich gierte nach weiteren Informationen über die in Moskau ermordete Finnin. In der Hütte gab es keine Internetverbindung, aber immerhin Bildschirmtext. Doch bei allen Sendern fand ich nur dieselbe kurze Meldung, die ich bereits in den Nachrichten gehört hatte. Ich spielte mit dem Gedanken, nach Outokumpu zu fahren und die Boulevardblätter zu kaufen. Die Hakkarainens hatten sicherlich nur die Provinzzeitung abonniert, und natürlich das Organ des Bauernverbandes. Laitio, der Polizist, wiederum würde mir am Telefon nichts verraten, sondern im Gegenteil versuchen, mir Informationen zu entlocken.
Es erschien mir seltsam, dass Anita allein in der Umgebung der Frunzenskaja unterwegs gewesen war. Warum war sie überhaupt zu Fuß durch die Stadt gegangen? Sonst hatte sie sich immer kategorisch geweigert, mit der Moskauer Metro zu fahren. Deshalb hatten wir im Stoßverkehr stundenlang in nach Machorka stinkenden Taxis gesessen, bevor wir Schabalin engagiert hatten. Ich versuchte erneut, ihn zu erreichen, bekam aber nur eine Ansage zu hören, der ich entnahm, dass der gewählte Anschluss nicht mehr bestand. Natürlich. Hieß der Mann überhaupt Schabalin? Visitenkarten waren eine praktische Erfindung, man konnte sie bestens nutzen, um seine Identität zu verschleiern. Hatte auch Schabalin Anita im Stich gelassen? Hatte sie daraufhin nicht gewagt, mit einem anderen Taxi zu fahren? Hatte sie sich im Gedränge in der Metro sicherer geglaubt?
Die Frunzenskaja lag südwestlich vom Kreml, in der Nähe der Moskwa, an deren anderem Ufer sich der Gorkij-Park erstreckte. Ich war gelegentlich vom Luzhniki-Sportpark über die Frunzenskaja ans Ufer der Moskwa gejoggt, wenn ich Anita sicher in ihrer Unterkunft wusste. Die Gegend war an sich nicht besonders unsicher, außerdem sehr belebt. Als Auftragskiller hätte ich mir eine ruhigere Stelle ausgesucht.
Ich wollte mich nicht sofort mit Laitio in Verbindung setzen, denn
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