Die Leibwächterin (German Edition)
ein Paket Wonton-Nudeln, die ich aß, während die Waschmaschine lief. Viel zu waschen hatte ich nicht, nur Unterwäsche und einige Blusen. Meinen Jogginganzug hatte ich am Morgen vor dem Zerwürfnis mit Anita aus der Hotelreinigung geholt; seitdem war ich nicht mehr dazu gekommen, ihn zu benutzen. Als ich die Nudeln aß, bemerkte ich plötzlich einen Jeep, der auf der Straße parkte. Er hatte dunkel getönte Scheiben und ein russisches Kennzeichen.
Verdammt! Sie waren immer noch hinter mir her, daran konnte ich weder mit meiner Waffe noch mit dem schwarzen Gürtel im ersten Dan des Judo etwas ändern. Paskewitschs Männer hatten noch bessere Arbeit geleistet als ich. Ich durfte den Russen nicht unterschätzen, er war beileibe kein Amateur.
So unauffällig wie möglich schlich ich durch die Wohnung. Die Jalousie in meinem Schlafzimmer war Tag und Nacht heruntergelassen, aber am Küchenfenster hing nur eine zwanzig Zentimeter breite Seitengardine. Die Tür zu Jennis Zimmer war geschlossen, ich zog auch Riikkas Tür zu. Dann holte ich das Fernglas aus meinem Zimmer. Doch ins Wageninnere konnte ich auch damit nicht sehen. Ich versuchte mich zu erinnern, ob mir das Kennzeichen schon einmal untergekommen war. Natürlich kannte ich nicht alle in Finnland tätigen russischen Gorillas, aber vorsichtshalber verglich ich das Nummernschild mit den verdächtigen Kennzeichen, die ich mir bei früheren Gelegenheiten notiert hatte. Ein paar der Mafiosi, die ich kannte, waren so arrogant, dass sie sich gegen Aufpreis persönliche Kennzeichen verschafften, die sie verrieten, andererseits aber auch einschüchternd wirken mochten.
Der Waschgang war beendet, aber es kam natürlich nicht in Frage, auf den Hof zu gehen und die Wäsche aufzuhängen. Dort wäre ich ein allzu leichtes Ziel gewesen. Ich besaß eine kugelsichere Weste, aber keinen Helm – und hätte ihn ohnehin nicht aufsetzen können, ohne in der Nachbarschaft Aufsehen zu erregen. In der Waschküche im Keller stand ein Wäschetrockner, damit würde es schnell gehen. Falls mein Verfolger immer noch auf der Straße wartete, wenn die Wäsche trocken war, konnte ich ihn vielleicht abschütteln, indem ich durch den Keller ans andere Ende des Hauses ging und den zweiten Ausgang benutzte. Aber wenn mein Gegner sein Metier beherrschte, hatte er sich natürlich einen Grundriss des Hauses beschafft und diese Möglichkeit einkalkuliert.
Ich durfte auf keinen Fall riskieren, dass mein Beschatter die Hütte in Degerby entdeckte, aber in meiner offiziellen Wohnung wollte ich auch nicht bleiben. In Hevonpersiinsaari, der Gegend, in der ich aufgewachsen war, würde es keinem gelingen, mich zu observieren. Ich konnte in Joensuu ein Auto mieten und hinfahren. Bis Joensuu könnte ich fliegen, im Flugzeug wäre ich sicherer als im Zug, andererseits kam man aus einem Zug notfalls leichter heraus. Während ich die Wäsche aus dem Trockner nahm, wog ich die Alternativen gegeneinander ab.
Nach dem Tod meiner Mutter hatte mein Onkel Jari mich großgezogen. Erst als Erwachsene hatte ich begriffen, was für ein Glücksfall es war, dass das Jugendamt ein vierjähriges Mädchen in die Obhut eines zweiundzwanzigjährigen Mannes gegeben hatte; für mich war es einfach die beste Variante gewesen. Mein Onkel, der Bruder meiner Mutter, wohnte in der Landgemeinde Kaavi an der Grenze zwischen den Provinzen Nordkarelien und Kuopio, in einem Gebiet, das allgemein Hevonpersiinsaari genannt wurde. Nach seinem Tod hatte ich das Holzhaus geerbt, in dem ich meine Kindheit verlebt hatte, doch ich wollte nicht mehr dort einziehen. Unser Nachbar Matti Hakkarainen hatte mir das Grundstück gern abgekauft, denn es lag auf einer wunderschönen Landspitze direkt am See und war so groß, dass er darauf für jedes seiner fünf Kinder ein Sommerhaus bauen konnte. Bisher war aus diesen Plänen noch nichts geworden, und das Haus stand meist leer. Ich hatte dadurch eine lebenslängliche Option: Sofern Hakkarainen das Haus nicht selbst brauchte, konnte ich jederzeit dort wohnen. Ich benutzte Riikkas Festanschluss, um Hakkarainen anzurufen. Der Anschluss war sicherer als mein Handy, obwohl ich Prepaids und Sim-Chips wechselte, sooft ich konnte.
Matti Hakkarainen meldete sich an seinem Handy; im Hintergrund heulte eine Motorsäge.
«Komm ruhig, der Schlüssel liegt an seinem Platz. Ich öffne den Schlagbaum an der Zufahrt zur Insel und lege das Schloss in die Stube. Dann kannst du ihn wieder herunterlassen, wenn du willst.
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