Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
Selbst Mäuse konnten ihr nichts anhaben. Sie hegte den Verdacht, einige Geschlechtsgenossinnen frönten ihren Hysterien nur deshalb, um im Manne den Beschützerinstinkt am Leben zu erhalten, damit dessen Selbstwertgefühl, das ja bei der Arterhaltung nicht ganz belanglos ist, nicht noch weiter zerstört wird. Das mit den bösen Bären und Wölfen, die von starken Mannsbildern mit Äxten und Steinschleudern vom Höhleneingang vertrieben werden mußten, war auch schon eine ganze Weile her. So weit ihr, Maria, bekannt war, hatte eine Maus noch kein Menschenleben auf dem Gewissen. Wozu also dieses enervierende Getue? Warum hantieren Frauen so selbstverständlich mit den schärfsten Küchenmessern, den Lieblingsspielzeugen aller gemeinen Mörder und Zerstückler, und gerieten beim Anblick scharfer Klingen nicht in Panik? Das ergäbe wenigstens einen Sinn. Aber nein, harmlose, kleine Mäuschen hatten sie für ihre obskuren Rollenspiele auserkoren.
Maria überlegte gerade, wer nun dämlicher war, die Frauen mit ihrem Gekreische oder die Männer, die das ernst nahmen, als die Maschine aus heiterem Himmel in ein Luftloch sackte.
Herr Schweitzer hatte nicht mehr ganz so tief geschlafen, die unzureichende Beinfreiheit verursachte Schmerzen, so daß das Absacken ein unangenehmes Ziehen im Genitalbereich generierte, wie es vom Achterbahnfahren her bekannt ist. Schlagartig war er wach, krallte sich in die Kopfstütze des Vordersitzes, flehte um Schonung und wurde erhört. Noch ein paar unruhige Nachbeben, als fahre ein Auto über eine geschotterte Bankette, und es war vorbei. „Was war denn das eben?“
„Ein Luftloch, mein Schatz, das passiert normalerweise ständig. Guck, der Steward hat nicht mal den Kaffee verschüttet.“
„Ach so“, sagte Herr Schweitzer so beiläufig wie möglich, denn Männer wie er scherten sich einen Dreck um Luftlöcher.
„Kaffee oder Tee?“
„Kaffee“, bestellte der so unsanft aus seinen Träumen Gerissene.
„Für mich auch, bitte“, sagte Maria.
„Sag mal, Luftlöcher ...“
„Ja?“
„Sind das so was wie Schlaglöcher auf der Autobahn?“
Maria lachte. „Ja, in etwa.“
Bis dato hatte Herr Schweitzer geglaubt, daß da, wo nichts ist, Luft sei. Und nun sollte es auch noch in der Luft Löcher geben, wo nichts ist. Also rein gar nichts, nicht mal Luft. Komisch ist das schon. Er nahm sich vor, sich diesbezüglich zu Hause mal schlau zu machen.
Auch die Landung meinte es gut mit ihm. Fasziniert hatte er den Übergang von Wasser zu Land beobachtet. Eine vielbefahrene Straße war ins Blickfeld gerückt. Sogar einzelne Autotypen konnte er voneinander unterscheiden. Wie türkisfarbene Kristalle funkelten Swimmingpools in der wüstenähnlichen Landschaft.
Und dann betrat er erstmalig in seinem Leben ausländischen Boden. Nach der künstlichen Kühle der Kabine war die heiße Luft wie eine Ohrfeige. Kurz kämpfte er mit seinem Kreislauf. Alkohol und Dope hatten sich verflüchtigt. Nur das Valium tat noch seinen Dienst. Er war versucht, sich theatralisch auf die Knie fallen zu lassen und die nichthessische Erde zu küssen – eine Geste ohne Anspruch auf Originalität. Aber, dachte Herr Schweitzer, dazu braucht es schon härtere Drogen als die seinigen. Trotzdem fühlte er sich wie ein echter Abenteurer. Marco Polo, Kolumbus, Armstrong und Simon Schweitzer. Das klang gut, das hatte was.
Er war vor Maria an der Paßkontrolle. Um zu demonstrieren, wie akribisch ein Mann von Welt seine Reisevorbereitungen bestreitet, segelte der gelbe Impfausweis auf die Ablage. Doch der ignorante Beamte schob Herrn Schweitzers dokumentierte Gelbsucht-, Hepatitis- und Malariaimpfung gelangweilt zurück. Ob der Laxheit, mit der hier möglichen Pandemien Vorschub geleistet wurde, war Herr Schweitzer etwas schockiert. Da es aber seine erste Grenzkontrolle war, und er nicht wußte, was noch auf ihn zukam, sagte er nichts. Was auch? Er wußte ja noch nicht mal, welche Sprache der bislang stumme Uniformierte vor ihm beherrschte. Außerdem durchbohrte er ihn gerade mit einem sehr unhöflichen Blick. Er schien ihn auf die Probe zu stellen. Da Herr Schweitzer sich keiner Schuld bewußt war, bohrte er zurück. Und dann geschah das Unfaßbare. Anstelle seines ersten Stempels, auf den er sich so riesig gefreut hatte, wurde ein schlichtes Formular in den Paß gelegt. Wie zum Hohn lockerte sich des Beamten Grimasse und er lächelte. „Welcome to Israel. Enjoy your holiday.“
Holiday? Was ist, wenn ich hier gar
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