Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
Absicht, Edward Brooks unter Mordverdacht festzunehmen, ein ernsthaftes Hindernis erwachsen war, ja daß er ein Verbleiben des Namens Brooks auf der Liste der Verdächtigen kaum mehr verantworten konnte, was einen schweren Rückschlag für die Ermittlungen bedeutet hätte, weil seine Liste lediglich aus diesem einen Namen bestand.
    Er musterte die treusorgende kleine Ehefrau, die in Rock und Sommerbluse neben ihrem Mann saß. Wenn sie bei ihren Lügengeschichten blieb (denn daß sie log, stand für Morse fest), würde es vor Gericht sehr schwerfallen, ihre Aussage zu erschüttern. Mit dieser eindrucksvollen Mischung aus Nervosität und Unschuld hatte sie mit Sicherheit die Geschworenen auf ihrer Seite.
    Morse versuchte es anders.
    «Allmählich bekomme ich Durst, Mrs. Brooks. Wenn ich auf Ihr Angebot zurückkommen dürfte...»
    Mrs. Brooks setzte den Kessel auf, holte die Tassen aus dem Schrank und blieb dann an der Küchentür stehen. Sie hatte gute Ohren.
    «Haben Sie einen Wagen, Sir?» fragte der mit den weißen Haaren.
    «Seit zehn Jahren nicht mehr», erwiderte Ted.
    «Wie kommen Sie zur Arbeit?»
    «Meistens mit dem Bus.»
    «Nicht mit dem Fahrrad?»
    «Wieso?»
    «Ich hab den Fahrradhelm in der Diele liegen sehen.»
    «Na und?»
    «Dr. McClure wurde erstochen, und überall im Zimmer — und vermutlich auch an der Person des Täters — war viel Blut. Wenn der Mörder in einem Wagen weggefahren wäre... die schlauen Jungs im Labor können auch kleinste Blutspuren entdecken...»
    «Aber ich hab keinen Wagen.»
    «Wir würden uns gern mal Ihr Fahrrad ansehen.»
    «Am besten nehmen wir es gleich mit», sagte der Sergeant.
    «Können Sie nicht. Die Mühle haben sie mir nämlich geklaut. Am Samstag mittag, gestern vor einer Woche. Ich war bloß auf ein Bier im Club, und als ich rauskam, war’s weg. Dabei hatte ich mir extra noch ein Hinterradschloß zugelegt. Zehn Pfund hat mich das Scheißding gekostet.»
    «Haben Sie den Diebstahl gemeldet?»
    «Ein geklautes Fahrrad melden? Hier in Oxford? Sie sind vielleicht ‘n Scherzkeks.»
    Mrs. Brooks kam mit dem Tablett herein.
    «Ich muß Sie bitten, den Diebstahl im Revier zu melden», sagte Lewis mit Nachdruck.
    «Milch und Zucker, Inspector?»
    Sie sah ihn jetzt zum erstenmal offen an, und Morse spürte etwas Kameradschaftliches hinter der Nervosität und der Angst. Er lächelte ihr zu, und sie gab das Lächeln schüchtern zurück. Er war gerührt. Und fest davon überzeugt, daß er dem Mann gegenübersaß, der Felix McClure umgebracht hatte. Er spürte es im Kopf und in allen Knochen — und hätte es in seiner Seele gespürt, hätte er nur gewußt, was das genau war und wo es saß.
    Als Mrs. Brooks sie zehn Minuten später zur Tür brachte, fragte Morse nach den beiden Fotos, die in der Diele hingen.
    «Das da ist meine Tochter Ellie.» Sie deutete auf das nachdenkliche Mädchen im Teenageralter. «Eigentlich heißt sie Kay, aber Ellie hört sie lieber.»
    Lewis mußte sich sehr beherrschen, um Morse nicht einen bedeutungsschweren Blick zuzuwerfen.
    «Und das da...» — sie deutete auf das zweite Foto, das sie Arm in Arm mit einer jüngeren, größeren, auffallend attraktiven Frau vor einem Bus zeigte — «das bin ich mit Mrs. Stevens, da sind wir mit ihrer Schule letztes Jahr nach Stratford gefahren. Es war wunderschön. Wenn alles gutgeht, fahre ich nächste Woche wieder mit. Sie ist Lehrerin an der Proctor Memorial School. Ich putze für sie.»
    Es schien, als wollte sie noch etwas hinzufügen, aber da rief ihr Mann nach ihr, und Morse wandte den Blick von der deformierten Hand ab, die wieder nervös zu zucken begann.

31

    Keine andere Erfindung des Menschen hat soviel Glück hervorgebracht wie eine gute Schenke.
    (Samuel Johnson, Obiter Dictum, 21. März 1776)

    «Was sagen Sie dazu?»
    Auf dem Weg zur Cowley Road nahm der Jaguar behutsam das halbe Dutzend Schwellen in einer verkehrsberuhigten Zone.
    «Im Augenblick gar nichts.»
    «Wie fühlen Sie sich?»
    «Lausig.»
    «Sie gehören ins Bett.»
    Morse sah auf die Uhr. «Oder ins nächste Pub. Wir brauchen eine Denkpause, Lewis.»
    Morse kannte sich in dieser Gegend nicht sehr gut aus. Während seines Studiums vor dreißig Jahren war das Gebiet östlich der Magdalen Bridge fremdes Revier gewesen, von dem man nur wußte, daß es (wie auch heute) ein multikulturelles Viertel war, in dem hauptsächlich Handel getrieben wurde — ein Viertel faszinierender Gegensätze, schön und häßlich zugleich, aufgegebene

Weitere Kostenlose Bücher