Die Leiche am Fluß
Läden, deren Türen mit Brettern vernagelt waren, und florierende Kleinunternehmen, Verfall und Neuanfang, mit einem Sexshop da, wo es an die Innenstadt grenzte, und einem Polizeirevier am anderen Ende. Dazwischen lagen — unter anderem — eine Reihe renommierter indischer Restaurants und hoffentlich auch ein Pub mit einem gepflegten Bier vom Faß.
Lewis hingegen kannte die Gegend gut. An der Kreuzung fuhr er nach rechts und dann gleich wieder nach links in die Marsh Road. Vor dem Marsh Harrier hielt er.
Der Führer durch Oxfords Pubs vergab die höchsten Punktzahlen nur an Lokale, in denen keine dröhnende Musikbox die Gespräche behinderte oder ganz unterband. Morse nahm im Marsh Harrier das Fehlen musikalischer Hintergrundgeräusche wohlwollend zur Kenntnis, schien aber mit seinem ersten Pint Fuller’s London Pride nicht ganz glücklich zu sein.
«Ist was, Sir?»
«Ich hab nur so ein blödes Gefühl im Bauch...»
«Seit wann haben Sie blöde Gefühle im Bauch, Sir?»
«...wenn ich an die Nachahmungstäter denke. Sobald die Presse über ein Verbrechen berichtet — die Entführung eines Babys vor einem Supermarkt beispielsweise — , macht das doch sofort einer nach.»
Lewis nickte. «Sie meinen den Artikel in der Oxford Mail über das Messer. Hätten sie den besser nicht bringen sollen?»
«Nein, nein. Vielleicht kommt ja doch noch was dabei heraus. Allerdings hab ich da so meine Zweifel.»
Morse leerte sein Glas und fuhr fort: «Das Messer, mit dem jemand — oder vielmehr, mit dem Brooks McClure abgestochen hat, muß ja irgendwo sein. Und wenn’s im Kanal liegt.»
«Oder im Cherwell.»
«Oder in einer Kiesgrube...»
Morse unterbrach sich und schickte Lewis an die Theke. Der Wirt hatte gerade zur letzten Bestellung vor der Polizeistunde aufgefordert. Möglicherweise hatte die Bronchitis bei dem Chief Inspector das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt: Er glaubte offenbar, die erste Runde habe er bezahlt.
Mit dem zweiten Pint schien Morse wieder aufzuleben. «Brooks war aber nicht am Wasser», sagte er.
«Aber auch nicht weit davon entfernt. Auf dem Heimweg mußte er über die Magdalen Bridge.»
«Auf dem Rad mit dem blutigen Sattel.»
«Er brauchte nur das Messer von der Brücke ins Wasser zu werfen, und die Sache war geritzt.»
Morse schüttelte den Kopf. «Zu riskant. Wenn ihn nun jemand dabei beobachtet hätte...»
Lewis zuckte die Schultern. «Er hätte ja bis zum Einbruch der Dunkelheit warten können.»
«Vom Vormittag bis in den Abend hinein, Lewis? Das ist eine lange Zeit.»
«Er kann das Ding aber auch schon vorher irgendwo weggeworfen haben. In einem Garten zum Beispiel.»
« Da hätten wir es inzwischen gefunden.»
«Wir haben die Suche noch nicht aufgegeben, Sir.»
Morse seufzte. «Es ist gar nicht so einfach, sich unerwünschter Gegenstände zu entledigen. Weil man nämlich ständig das Gefühl hat, daß einer zusieht. Vor ein paar Wochen habe ich versucht, eine leere Flasche in einer Mülltonne in der Banbury Road loszuwerden. Ich hatte sie kaum reingeworfen, da fuhr ein Bekannter vorbei und winkte...»
«Und Sie hatten prompt ein schlechtes Gewissen.»
Morse nickte. «Deshalb brauchen wir unbedingt das Messer. Ohne Tatwaffe können wir nicht gegen Brooks vorgehen.»
«Es gibt noch eine andere Möglichkeit.»
« Und die wäre?» Morse machte ein Gesicht wie ein Mathematikprofessor, dessen Aussage von einem Schüler, der kaum bis drei zählen kann, in Frage gestellt wird.
«Er hat das Messer mit nach Hause genommen.»
«Ausgeschlossen. Wir reden hier von instinktivem Verhalten. Wer einen Menschen erstochen hat, geht nicht hinterher seelenruhig nach Hause, wäscht das Messer mit Spülmittel vom Discounter ab und legt es wieder in die Schublade.»
«Aber dann würde ein Messer fehlen. Eins aus einem ganzen Satz vermutlich.»
«Na und? Messer werden verlegt, gehen kaputt...»
«Dann wüßte vermutlich Mrs. Brooks Bescheid.»
«Aber sie wird uns nichts sagen.»
Morse lehnte sich zurück und sah sich um. Er wirkte jetzt fast entspannt.
«Sind Sie sicher, daß es Brooks war?» fragte Lewis leise.
«Allzu viele Zufälle, Lewis. Schön, sie spielen im Leben eine sehr viel größere Rolle, als wir zuzugeben bereit sind. Aber nicht in diesem Fall. Überlegen Sie mal. Brooks hört am gleichen Tag wie McClure, das spätere Mordopfer, in Wolsey auf, nachdem sie mehrere Jahre auf dem gleichen Aufgang gewesen waren. Ein Jahr später bekommt Brooks ausgerechnet an dem Tag, an
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