Die Leiche am Fluß
was von Hilfe, und wenn ich Sie um was bitte, kneifen Sie!»
«Na schön, aber nur einen auf die Schnelle. Unter einer Bedingung.»
«Nämlich?»
«Daß Sie die Wagentür nicht zuknallen.»
«So mies finde ich Ihre Wohnung gar nicht», sagte Morse, als er sich, ein Glas mit Whisky in der Hand, auf dem einzigen Sessel in dem einzigen, aber recht geräumigen Zimmer von Ellie Smith zurücklehnte.
«Ist sie aber. Überall kriechen diese mikroskopisch kleinen Viecher herum... Sie haben sicher schon Fotos von ihnen gesehen...»
Morse machte große Augen. Träumte er, oder hatte sie plötzlich auffallend korrekt und grammatikalisch richtig gesprochen?
«Ich weiß schon, warum Sie mich so anstarren», sagte sie.
«Wie bitte?»
Sie legte die Zeigefinger an die ringlosen Nasenflügel.
Morse nickte. «Ja, so sind Sie mir bedeutend lieber.»
«Ist mir klar.»
«Wissen Sie, daß Ihr Stiefvater noch immer verschwunden ist?»
«Na und? Soll ich deswegen Trauer tragen?»
«Warum hassen Sie ihn so?»
«Nächste Frage.»
«Wie Sie wollen. Sie sagten, daß Sie heiraten würden. Ändert sich daran etwas, nachdem Sie das Kind verloren haben?»
«Was Sie aber auch alles wissen wollen. Zigarette?»
Ellie streckte ihm die Packung hin, und Morse ließ erwartungsgemäß seine guten Vorsätze fahren und griff zu.
«Sie wollen nach wie vor heiraten?»
«Warum nicht? Wird langsam Zeit, daß ich solide werde, finden Sie nicht?»
«Mag sein...»
«Was kann ich Ihnen sonst noch sagen?»
Morse beschloß, die gute Gelegenheit beim Schopf zu packen. Er war überzeugt, daß man den Schlüssel zu dem Fall — zu beiden Fällen — in den späten Nachmittagsstunden des 7. September zu suchen hatte, als das Messer im Pitt Rivers Museum entwendet worden war.
«Sie hätten auch mit einem früheren Zug von Birmingham zurückfahren können, nicht?»
Sie zuckte die Schultern. «Kann schon sein. Bin ich aber nicht.»
«Wissen Sie noch, wann Ihre Freundin an dem Abend zu Ihnen gekommen ist?»
«Keinen Schimmer. Und sie weiß es wahrscheinlich auch nicht, wir waren ja später beide hackevoll.»
Morse überlegte, ob sie log, und wenn, warum sie log.
«An dem Mittwoch...»
«Himmeldonnerwetter, jetzt hören Sie doch endlich auf mit dem dämlichen Mittwoch», fuhr sie auf. «Warum fragen Sie mich nicht nach dem Dienstag? Oder dem Montag? Was ich da gemacht hab, weiß ich nämlich auch nicht. Ausgerechnet Mittwoch...»
«Unserer Meinung nach gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an Dr. McClure und dem Diebstahl des Messers.»
Das schien sie nicht weiter zu beeindrucken, aber sie beruhigte sich wieder. «Noch ‘n Schluck?»
«Nein, ich muß los.»
«Wer nicht will, der hat schon.»
Sie schenkte sich noch einen Scotch ein und zündete sich die nächste Zigarette an. «Schmeckt schon besser. Hab drei Tage nicht mehr geraucht. Die bei Ihnen im Auto war fürchterlich.»
Morse stand auf und stellte das leere Glas auf dem Kaminsims ab. Auf dem weißen Kaminvorsprung waren vier 15 Zentimeter große Quadrate in verschiedenen Gelbtönen ausgelegt, die Bezeichnung der Farbe war mit einem dicken Stift in jedem Quadrat vermerkt: Wildprimel, Sommersonne, Buttermilch, Narzissenweiß. «Welche gefällt Ihnen am besten?» fragte sie. «Ich will nämlich renovieren.»
Renovieren... Da war wieder dieser plötzliche Umschwung von der Gossen- zur Hochsprache. Interessant...
«Aber geben Sie die Wohnung denn nicht auf, wenn Sie verheiratet sind?»
«Mann, Sie können einem Löcher in den Bauch fragen!»
Sie hatte sich aufs Bett gesetzt, und Morse drehte sich um und sah sie an.
«Warum haben Sie mich eigentlich hergebeten? Sie tun gerade so, als ob ich mich aufgedrängt hätte...»
Sie sah in ihr Glas. «Ich wollt ja bloß ‘n bißchen Gesellschaft haben.»
«Haben Sie Mr. Davies schon von der Fehlgeburt erzählt?»
«Nein.»
«Meinen Sie nicht...»
«Jetzt halten Sie endlich den Rand! Sie wissen doch gar nicht, wie das ist, ganz allein dazustehen...»
«Ich stehe die ganze Zeit allein da», sagte Morse.
«Das sagen sie alle, die Typen in Ihrem Alter...»
Morse nickte lächelnd. Im Gehen warf er noch einen Blick auf den Kaminsims.
«Gelb ist eine schwierige Farbe. Ich an Ihrer Stelle würde das Narzissenweiß nehmen.»
Langsam ging er die knarrende Treppe hinunter und stieg in seinen Jaguar. Dort blieb er minutenlang regungslos am Steuer sitzen und spürte das vertraute Kribbeln zwischen den Schultern.
Warum war ihm das nicht
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