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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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obere Kopfkissen herum, um eine kühle Stelle für ihren heißen, schmerzenden Kopf zu finden. Eine halbe Stunde nach Mitternacht stand sie auf, machte sich noch einen Becher Ovomaltine, schluckte noch zwei Nurofen. Im Lauf der letzten Woche hatte sich der bohrende Schmerz wie ein kompakter Block in ihrem Hinterkopf festgesetzt, und in ihren Ohren lag ständig ein rhythmisches Rauschen.
    Tagsüber dachte sie nur selten an den Tod. In der Dunkelheit aber schlich sich neuerdings alptraumhaft die Angst in ihr Schlafzimmer und plagte sie so lange, bis sie schließlich gestand, sie wolle nicht sterben.
    Sie zählte.
    Tausendeins, tausendzwei... und nach einer Weile hörte sie auf zu zählen und flüsterte vor sich hin: Und — es — herrschte — eine — große — Stille... Dann fing sie wieder an, diesmal rückwärts: Tausendfünf, tausendvier...
    Manchmal gelang es ihr beim Zählen, den Nachtmahr zu vertreiben. Und ein-, zweimal in letzter Zeit hatte sie auf das Zählen ganz verzichten können. Aber nicht in dieser Nacht.
    Als sie endlich einschlief, sah sie im Traum ein bleiches Pferd und wußte: Der Name des Reiters war Tod...

    In dem kleinen Zimmer hingen drei großformatige Poster an der Wand — Bilder von Jimi Hendrix, Jim Morrison und Kurt Cobain, drei Rockstars, die in ihrem kurzen Leben mit Drogen und mit dem Tod experimentiert hatten. Nachts um eins saß Kevin Costyn angezogen auf dem Bett, den Rücken an das knarrende Kopfbrett gelehnt, und ließ sich von seinem Walkman mit dröhnender Punkmusik beschallen, die er irgendwie beruhigend fand. Eroticon IV, ein kruder Porno, lag aufgeschlagen neben ihm, aber sexuelle Phantasien beschäftigten ihn derzeit weniger.
    In dieser für ihn beispiellos aufregenden Woche richteten sich seine Gedanken vielmehr auf Handgreiflicheres, nämlich auf seine unmittelbare Umgebung: die Vorgärten voller Unrat; die verrosteten, ausgeweideten Autowracks in den Einfahrten; das ärmliche, schmuddelige Haus, in dem er mit seiner in allen praktischen Dingen hilflosen Mutter wohnte; vor allem den fürchterlichen Zustand seines Zimmers mit dem verdreckten, zerknitterten Bettzeug, in dem er nun schon seit sieben Wochen oder noch länger schlief. Es war der Kontrast, der ihn so faszinierte — der Gegensatz zwischen diesem vertrauten Umfeld und dem bescheidenen, aber ordentlichen Reihenhäuschen von Julia Stevens mit den vor Aufgeräumtheit strahlenden, nach Sauberkeit duftenden Zimmern, den schneeweißen, frischgewaschenen Bezügen auf dem einladenden Bett.
    Er hatte immer zu wissen geglaubt, was das wichtigste im Leben war: Geld.
    Während er Socken und Hose auszog und unter die Decke kroch, ertappte er sich bei der Überlegung, wieviel Geld Mrs. Stevens wohl gespart haben mochte.

    Am Abend zuvor war Ashley Davics mit Eleanor Smith in einem Motel bei Buckingham gewesen, wo sie — er in Hochstimmung nach seinem erfolgreichen Heiratsantrag, sie in Hochstimmung nach erfolgreichem Champagnergenuß — in lindgrünem Bettzeug miteinander geschlafen hatten. Ein idyllischer Auftakt für ein Leben als verlobtes Paar, so sollte man meinen.
    Doch als Davies in der nächsten Nacht allein im Bett lag und nicht schlafen konnte, kamen ihm Zweifel.
    Für ihn war es ein sehr genußreiches sinnliches Erlebnis gewesen, denn in medio coitu hatte sie sich ihm rückhaltlos hingegeben. Vor und nach dem eigentlichen Liebesakt aber hatte er deutlich ihre Reserviertheit gespürt. Zweimal hatte sie sich, als er ihre Lippen suchte, um ihr ganz zärtlich nahe zu sein, den Kopf weggedreht. Und im nachhinein begriff er, daß es in ihrem Herzen einen Winkel geben mußte, in den sie noch keinen Mann gelassen hatte.
    Im Morgengrauen hatte sie sich innerlich und äußerlich ganz von ihm abgewandt, hatte sich in den Schlaf, in die Nacht geflüchtet, als sei in ihr eine verborgene Leidenschaft, die einem anderen gehörte...

    Auch die junge Frau, die jetzt in Aufgang G des Drinkwater Quad von Wolsey College für Sauberkeit und Ordnung sorgte, verbrachte eine unruhige Nacht. Um zwei ging sie nach unten in die Küche, brühte sich einen Tee auf und besah sich im Spiegel ihr hübsches Gesicht mit dem kastanienbraunen Haar und den Ponyfransen über der Stirn. Sie waren ein bißchen zu lang — so lang, daß sie fast die Augen verdeckten, in denen leise Angst stand.
    Susan hatte zugesagt, die von Sergeant Lewis aufgenommene Aussage am nächsten Tag (Samstag um zehn) durchzusehen und zu unterschreiben, und das machte ihr

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