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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Selbstbeherrschung bereits hinreichend unter Beweis gestellt und einen Sieg über das Nikotin errungen hatte, so daß man, sollte er schwach werden, nicht von einem Rückfall reden konnte, sondern allenfalls von einem Neuanfang. Denn der vierte Tag erwies sich als noch härter als der dritte.
    Am fünften Tag, als er zu einem Check-up ins Krankenhaus ging und zehn Minuten vor dem auf 9.20 Uhr festgesetzten Termin im Wartezimmer saß, hatte seine Euphorie sich fast völlig verflüchtigt. Ein eigenartiger Zufall, daß auch Edward Brooks einen Krankenhaustermin um 9.20 Uhr gehabt hatte. Einen Termin, zu dem er bis heute nicht erschienen war.
    Nachdem er eine gründliche Untersuchung über sich hatte ergehen lassen, Fragen nach Körpergewicht und Alkoholkonsum geschickt gekontert, den Vorschlag, einmal mit einer Diätberaterin zu sprechen, höflich abgelehnt und drei weitere Blutproben abgeliefert hatte, stand Morse wieder draußen in der Sonne. Auf seiner blauen Karte war ein neuer Termin vermerkt (zum Glück erst in sechs Wochen!), und sein Gesicht verriet neue Zuversicht. Wie hatte der Arzt gesagt?
    «Sie haben alles erstaunlich gut überstanden. Unverdient gut, Mr. Morse! Ich habe den Eindruck, daß Sie schon wieder überraschend fit sind.»
    Auf dem Weg zum Parkplatz Süd, noch ganz im Bann der frohen Kunde, sah Morse eine junge Frau an der Bushaltestelle stehen. Ein eigenartiger Zufall, daß sie heute vormittag beide zur gleichen Zeit im selben Krankenhaus gewesen waren und beide jetzt offenbar auf dem Heimweg.
    «Guten Morgen, Miss Smith», sagte der Chief Inspector aufgeräumt.
    An diesem Vormittag gab es kaum etwas, was Morse die Laune hätte verderben können, denn die Götter waren ihm offenbar wohlgesinnt. Hätte sie seinen Gruß ignoriert, wäre er weitergegangen, ohne sich persönlich verletzt zu fühlen. Aber ein bißchen enttäuscht wäre er schon gewesen, denn er hatte gesehen, daß sie traurig aussah, und wollte ihr gern eine Weile Gesellschaft leisten.

46

    Ich kannte mal jemand, der sprach Dialekt mit einem Akzent.
    (Irvin Cobb)

    «Das ist wirklich nicht nötig», sagte sie, während sie sich auf den Beifahrersitz schob. «Fürs Fahrgeld hätte es noch gereicht.»
    «Wie lange warten Sie schon?»
    «Lange. Stört Sie’s, wenn ich rauche?» fragte sie, als Morse nach links in den Hcadley Way einbog.
    «Nein, gar nicht.»
    «Wollen Sie eine?»
    «Äh — nein, danke.»
    «Sie rauchen aber. Oder Ihre Frau. Der Aschenbecher quillt über. Wär ich nicht gut als Detektivin?»
    «Wie soll ich fahren?» fragte Morse.
    «Am White Horse links.»
    «Oder gleich zum White Horse?»
    «Äh — nein, danke», äffte sie ihn nach.
    «Warum nicht?»
    «Weil die Scheißpinte noch nicht auf hat, darum.» Der schnoddrige Ton klang gezwungen. Morse sah sie von der Seite an. Irgendwas stimmte hier nicht.
    «Wenn Sie wollen, können Sie gern mit mir darüber sprechen.»
    «Wieso grad mit Ihnen?»
    Morse atmete tief durch, während sie zornig ihre Zigarette ausdrückte. «Sie waren über Nacht im Krankenhaus, stimmt’s? Ich hab einen weißen Nachthemdzipfel aus Ihrer Reisetasche hängen sehen. Beim letztenmal haben Sie mir erzählt, daß Sie ein Baby erwarten, und für werdende Mütter ist das John Radcliffe zuständig, allerdings nicht für Fehlgeburten, die kommen ins Churchill. Wenn aber eine Fehlgeburt zu befürchten ist, bei inneren Blutungen etwa, weist man die Frauen gewöhnlich zur Beobachtung ins John Radcliffe ein. Wer lange genug bei der Polizei ist, kennt sich in diesen Dingen aus. Und ich hab ja auch nur gefragt, ob Sie mit mir darüber sprechen wollen.»
    Jetzt liefen ihr die Tränen über die Wangen. Sie hinterließen schwarze Maskaraspuren auf dem sonst ungeschminkten Gesicht.
    «Ich hab’s verloren», sagte sie schließlich.
    Morse hätte gern seine Hand ganz leicht, ganz sanft auf die ihre gelegt, aber er hatte Angst, sie könnte ihn mißverstehen.
    «Das tut mir leid», sagte er deshalb nur und fuhr schweigend weiter.
    In der Princess Street stieg sie aus und holte ihre Reisetasche von der Rückbank. «Schönen Dank.»
    «Viel tun konnte ich ja nicht. Aber wenn Sie mal Hilfe brauchen, können Sie mich jederzeit anrufen.» Er schrieb ihr seine Nummer auf, denn er stand nicht im Telefonbuch.
    «Okay, das ist ein Angebot. Ich hab ‘ne ziemlich miese Bude, aber ich würd mich freuen, wenn Sie auf einen Drink mit raufkommen würden.»
    «Nicht heute vormittag...»
    «Na Sie sind gut! Eben labern Sie noch

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