Die Leiche am Fluß
gefunden.»
«Was? Warum sagen Sie denn das nicht gleich, Mann?»
48
Wird ihm guttun, eine Weile bewußtlos dazuliegen, da kann sich sein Gehirn ausruhen.
(N. F. Simpson, One-Way Pendulum)
Hauptgesprächsthema in der Proctor Memorial School war an diesem Freitagnachmittag der gestrige Rammbruch in einen Schnapsladen der Blackbird Leys-Siedlung. Zufällig kam ein Streifenwagen vorbei, als drei junge Leute den Laden in der Verbena Avenue plünderten, und war nur fünfzig Meter hinter dem gestohlenen Fluchtwagen, als dieser mit hoher Geschwindigkeit in der Nähe des Horspath-Kreisels auf der Eastern Ring Road frontal mit einem schweren Laster zusammenstieß.
Als die Jagd zu Ende war, saß der Fahrer tot hinter dem Steuer; das abgeknickte Lenkrad hatte ihm die Brust eingedrückt. Der Junge auf dem Beifahrersitz war mit dem rechten Fuß in die Motoraufhängung geraten und sollte später das Bein verlieren. Der dritte, der auf der Rückbank, hatte schwere Quetschungen und Schnittwunden am Kopf und im Gesicht und war noch immer bewußtlos, nachdem die Feuerwehrleute ihn und seine Kumpane aus dem zertrümmerten Ford Escort herausgeschweißt hatten.
Das große Interesse an dem Vor- oder Unfall erklärte sich daraus, daß die beiden Überlebenden fünf Jahre lang die Proctor Memorial School besucht und sich fünfzehn Trimester lang allen Versuchen ihrer Lehrer, ihnen ein Mindestmaß an Wissen und einige höhere Werte beizubringen, standhaft widersetzt hatten. Hätten sie ihre Ausbildung in einer der angeseheneren Institutionen des Landes absolviert — in Eton oder Harrow oder Winchester etwa — , hätte man sie in der Nachmittagsausgabe der Oxford Mail vermutlich nicht als «frühere Schüler», sondern als Old Boys bezeichnet. Der frühere Schüler, der auf der Rückbank gesessen hatte, war erst im vergangenen Trimester von seiner Alma mater abgegangen. Er hieß Kevin Costyn.
In der Mittagspause wollte Julia Stevens der Mutter ihres früheren Schülers einen Besuch abstatten. Die Klingel war offenbar kaputt, was sie in diesem Haus nicht weiter wunderte, und auf wiederholtes Klopfen meldete sich niemand. Als sie durch den verwahrlosten, zugemüllten Vorgarten langsam zur Straße zurückging, blieb eine junge Frau mit zwei Kleinkindern in einer Kinderkarre vor dem kaputten Gartentor stehen.
«Die Leute da drin sind die meiste Zeit weg», sagte sie.
Und Julia Stevens dachte bei sich, daß diese kurze kryptische Bemerkung ihren früheren Schüler besser charakterisierte, als sie selbst es nach den langen Jahren ihrer Bekanntschaft hätte tun können.
Sie habe vor einer Stunde angerufen, sagte sie zu der Stationsschwester im John Radcliffe Hospital, und man habe ihr gesagt, Kevin Costyn könne Besuch empfangen.
«Wie geht es ihm?»
«Nicht so schlecht, wie er aussieht. Bei der Computertomographie hat sich nichts ergeben, aber sein Kopf macht uns doch ziemliche Sorgen. Und er sieht schlimm aus. Sie dürfen nicht erschrecken, Mrs. Stevens.»
Er war wach und erkannte sie sofort.
«Es tut mir leid», flüsterte er. Sein Mund war schief gezogen, als habe er ein halbes Dutzend Betäubungsspritzen in eine Kieferhälfte bekommen.
«Pst. Ich wollte nur sehen, wie es dir geht.»
«Es tut mir leid... Es war das Schlimmste, was ich je gemacht hab.»
«Sag jetzt nichts. Du hast ja nicht am Steuer gesessen.»
Jetzt wandte er ihr das Gesicht zu, und sie sah die schrecklich zugerichtete linke Wange.
«Das mein ich nicht, Mrs. Stevens. Daß ich von Ihnen Geld verlangt hab, mein ich.» Seine Augen baten stumm um Verständnis. «Das hätt ich nie tun dürfen. Sie waren die einzige, die je gut zu mir war, und dann hab ich...»
Er konnte nicht mehr weitersprechen, und seine Augen wurden naß.
«Mach dir deswegen keine Gedanken, Kevin.»
«Wollen Sie mir was versprechen?»
«Wenn ich kann...»
«Sie dürfen sich auch keine Gedanken machen.»
«Das verspreche ich dir.»
«Das ist nämlich nicht nötig. Ich sag keinem, was ich für Sie getan hab. Ehrenwort.»
Julia spürte eine Bewegung hinter sich. Sie wandte sich um. Die Schwester hatte einen Polizisten in Uniform mitgebracht, der seine flache Mütze verlegen an die Rippen drückte.
Sie legte ihre Hand auf Kevins dick verbundenen Arm, der an zahlreichen Infusionsschläuchen hing, und verabschiedete sich.
Während sie auf den Lift wartete, mußte sie traurig lächeln. Wie hatte die Schwester gesagt? Um seinen Kopf machen wir uns doch ziemliche Sorgen... Genau wie 15
Weitere Kostenlose Bücher