Die Leiche am Fluß
Mrs. Stevens diejenige gewesen sein muß, die sich das alles ausgedacht hat. Aber, wie gesagt, getan haben kann sie es nicht.»
Allzu gern schien Morse das nicht zu hören.
«Und Mrs. Brooks ebensowenig», fuhr Lewis fort. «Sie hatte das naheliegendste Motiv und wahrscheinlich auch Mumm genug, aber die Planung traue ich ihr nicht zu. Eine Gelegenheit hätte sie zum Beispiel in der Nacht gehabt, als sie von Stratford zurückkam. Aber...»
«Ich auch nicht», wiederholte Morse, trank noch einen Schluck von dem dünnen, lauwarmen Kaffee und verzog das Gesicht.
«Bleibt also eigentlich nur eine, Sir, es sei denn, wir hegen total falsch...»
Es sei denn, hatte Lewis gesagt — genau wie gestern Holmes von der Flußmeisterei im Zusammenhang mit der rotweiß gestreiften Schranke. Die Möglichkeit, daß Brooks’ Leiche in einem Fahrzeug an die Themse gebracht worden sein mußte, hatte sich Morse bisher gleichsam mit einer rotweißen Schranke im Kopf versperrt. Aber Schranken ließen sich natürlich öffnen...
«Fahren Sie bei der Proctor Memorial School vorbei, Lewis, und sagen Sie dem Schulleiter, daß wir gern noch einmal mit Mrs. Stevens sprechen würden. Entweder bei ihr zu Hause oder auch hier, .wenn ihr das lieber ist.»
«Es ist wohl wichtig, Sir?»
«Allerdings. Mich können Sie im Labor absetzen, ich will kurz noch mal mit der schönen Laura sprechen.»
58
Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht.
(Hebräer, 11,1)
Dr. Laura Hobson, die aus dem Labor kam, um Morse zu begrüßen, machte einen sehr zufriedenen Eindruck. Sie deutete auf die Tür.
«Gehen Sie besser nicht hinein, Chief Inspector. Noch nicht. Aber mit den Hauptsachen sind wir fast fertig.»
«Was Interessantes?»
«Falls Sie sich für den Mageninhalt interessieren...»
«Nein.»
«Die Kollegen haben ein paar verwischte Spuren auf dem Messer gefunden. Ich drücke Ihnen die Daumen.»
«Danke.» Morse zögerte. «Es hört sich ein bißchen weit hergeholt an, aber...»
«Ja?»
«Das Messer, mit dem McClure ermordet wurde, war dem, das aus dem Pitt Rivers gestohlen worden ist, sehr ähnlich.»
«Ich weiß.»
«Und nun habe ich mir überlegt... wäre es möglich, daß Brooks mit einem anderen Messer erstochen worden ist, einem mit einer ähnlichen Klinge, und daß ihm das Messer, das Sie im Labor haben, das mit den Fingerabdrücken, hinterher in den Rücken gestoßen wurde?»
Laura sah ihn einigermaßen verblüfft an. «Daß jemand mit zwei Messern gearbeitet hat, meinen Sie? Mit einem wird er erstochen, dann nimmt man das eine heraus und steckt das andere hinein?»
Morse machte ein betretenes Gesicht, gab aber noch nicht auf. «Wenn ich hinterher sage, meine ich ein paar Stunden, vielleicht sogar erst vierundzwanzig Stunden später.»
«Ausgeschlossen. Da hätte Ihr Mörder schon einen absoluten Zufallstreffer landen oder die Fähigkeiten eines Gehirnchirurgen haben müssen. Außerdem müßte es Anzeichen für zwei Einstichwunden geben. Sie dürfen nicht vergessen, daß er durch die Kleidung hindurch erstochen worden ist.»
«Und die haben Sie nicht gefunden?»
«Nein. Ganz abgesehen von Hinweisen im Körper selbst. Zwei unterschiedliche Auftreffpunkte der Messerspitzen, zwei unterschiedliche Schnittstellen rechts und links der...»
«Verstehe», sagte Morse hastig.
«Wirklich? Sonst erkläre ich es Ihnen gern, Bei einer Stichwunde...»
«Nein, danke, ich glaube Ihnen unbesehen. Bei diesem physiologischen Zeug komme ich einfach nicht mit, das haben wir in der Schule nicht gehabt.»
«Ich weiß. Sie hatten statt dessen Griechisch. Das haben Sie mir mal erzählt, wissen Sie noch? In... in unserer Anfangszeit.»
Morse wich ihrem Blick aus.
«Hätte Ihnen denn das weitergeholfen?» fragte Laura jetzt wieder ganz sachlich.
«Ich bin von Anfang an davon ausgegangen, daß das Messer nur gestohlen wurde, um einer oder mehreren Personen zu einem Alibi zu verhelfen und um uns glauben zu machen, Brooks sei erst nach dem Diebstahl ermordet worden.»
Sie hatte offenbar begriffen, worauf es ihm ankam. «Sie meinen, wenn er an einem bestimmten Tag mit dem Messer ermordet worden ist und am nächsten Tag ein zweites Messer gestohlen, das erste Messer entfernt und das zweite Messer in die Wunde gesteckt worden wäre, hätte man damit Leute von der Polizei, Leute wie Sie, hinsichtlich der Todeszeit in die Irre führen können.»
«Ein bewundernswert konstruierter
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