Die leichten Schritte des Wahnsinns
auf. Es wurde still.
»Ist da jemand?« Michael spähte durch den Türspion, aber der Treppenabsatz war leer.
Außer den beiden Schlössern gab es noch einen Riegel. Michael schob ihn vor und sperrte dann rasch das zweite Schloß zu. Im
oberen Schlüsselloch knirschte es wieder.
»Wenn Sie ein Einbrecher sind, rufe ich die Polizei!« warnte der Professor laut.
Welche Polizei? dachte er. Ich kenne die Telefonnummer nicht, und dort wird auch kaum jemand Englisch sprechen.
Der Mensch vor der Tür rührte sich nicht von der Stelle.
»Gehen Sie sofort weg!«
Hundegebell wurde laut. Ein Türschloß klackte. Michael drückte das Gesicht wieder an den Spion. Aus der Wohnung gegenüber
kam ein Mann mit einem dicken Boxer an der Leine. Der Hund kläffte noch einmal, der Mann sagte einige Worte auf Russisch.
Die Aufzugtür fiel krachend zu, und Michael kam es vor, als antworte dem Mann eine Frauenstimme. Der Raum neben dem Aufzug
war vom Spion aus nicht einsehbar.
Auch wenn tatsächlich jemand vor der Tür gestandenhat, dachte der alte Professor, der Nachbar mit dem Hund hat den Übeltäter bestimmt verscheucht.
Für alle Fälle schlich er zum Küchenfenster, das auf den Hof hinausging. Im hellen Licht der Laterne erblickte Michael den
Mann mit dem Hund und eine große Frau in einem dunklen Mantel. Sie hatte zusammen mit dem Mann das Haus verlassen, ging aber
in die entgegengesetzte Richtung.
Als Regina englische Worte aus der Wohnung hörte, lächelte sie nervös. Sie stellte sich vor, welche Verwirrung es gegeben
hätte, wenn sie mit ihrer Pistole in die Wohnung eingedrungen wäre, aber anstelle der Poljanskaja einen älteren Amerikaner
vorgefunden hätte.
Ein New-Yorker mit Hochschulbildung, konstatierte sie mechanisch, als sie Michaels erschrockene Warnungen, die Polizei zu
holen, hörte. Vorsichtig zog sie den Dietrich wieder aus dem Schloß. Sie hatte gerade noch Zeit, den Schlüsselbund voller
Dietriche in der Manteltasche verschwinden zu lassen und zum Aufzug zu gehen, als aus der Wohnung gegenüber ein Mann mit einem
Boxer trat.
Sie drückte auf den Knopf. Der Boxer zerrte an der Leine, fletschte die Zähne und kläffte. Regina fuhr erschrocken zurück.
»Gib Ruhe, Garri!« herrschte der Mann den Hund an. »Keine Angst, er beißt nicht«, wandte er sich an Regina und ließ ihr höflich
den Vortritt.
»Ich habe gar keine Angst«, antwortete sie und lächelte gezwungen.
Nein, es stimmt schon, jeder soll nur das tun, was er wirklich kann, dachte sie. Schluß mit diesen stümperhaften Räuberspielen,
es wird Zeit, einen Profi einzuschalten. Jetzt habe ich dafür ja auch einen plausiblen Grund: Mein Wolkow hat sich in irgendeine
Tussi verknallt, und es ist ganz natürlich, daß mich das ärgert. Im Grunde ist es ja auch so. Ich brauche gar nichts zu erfinden.
Kapitel 24
Nikolai Sergejewitsch Ijewlew, Major des FSB, trauerte um den berühmten »Dieb im Gesetz« 1 mit dem Spitznamen »Drossel« wie um einen lieben Verwandten. Fast zwei Jahre hatte sich der Major mit dieser »Autorität« befaßt. In seinem Safe lag genug Beweismaterial, um den prominenten Ganoven an
den Galgen zu bringen.
Vor zwei Jahren hatte Drossel den Bruder des Majors, den jungen erfolgreichen Unternehmer Anton Ijewlew, durch einen Killer
umbringen lassen. Der Anlaß für den Auftragsmord war eine Bagatelle: Beider Interessen hatten sich überschnitten, und der
Ganovenkönig hielt es nicht für nötig, sich mit dem Geschäftsmann zu einigen, sondern zog es vor, einen Killer zu bezahlen,
der Anton ohne viele Umstände in einem Hauseingang abknallte.
Drossel galt als nicht überführbar. Er kam immer nur wegen kleiner Vergehen hinter Gitter und wurde jedesmal vorzeitig entlassen.
Niemand zweifelte daran, daß er schon längst ein Fall für den Henker war, aber die Beweise reichten nie aus. Kein Wunder –
Drossel hatte seine Leute überall: bei der Staatsanwaltschaft, im FSB, im Innenministerium und sogar in der Duma. Ijewlew
wußte das sehr gut, und deshalb ermittelte er ganz im stillen. Die verdiente Todesstrafe war schon zum Greifen nah, als Drossel
von wild gewordenen Ganoven im Restaurant »Der Recke« umgebracht wurde. Ijewlew war es keineswegs gleichgültig, auf welche
Weise der Diebeskönig die ihm zugedachte Kugel empfing.
Natürlich brannte Einsatzleiter Sitschkin nicht geradedarauf, dem Major des FSB die Materialien über den Mord an Asarow zugänglich zu machen. Er sagte nur
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