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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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denn jetzt?« fragte Lena.
    »Ich weiß nicht. Warum fragst du?«
    »Na, sie wäre wohl kaum entzückt, wenn sie dich jetzt hören könnte.«
    »Sie hört nichts. Sie ist nicht zu Hause. Was machst du morgen? Kann ich dich sehen?«
    »Kaum. Ich habe einen Professor aus New York zu Besuch. Morgen zeige ich ihm den ganzen Tag Moskau.«
    »War das der, der ans Telefon gegangen ist?« fragte Wolkow.
    »Ja.«
    »Wie alt ist er?«
    »Zweiundsechzig. Nein, Wenja, auf Michael brauchst du nicht eifersüchtig zu sein.«
    »Ich bin auf die ganze Welt eifersüchtig«, gestand er mit einem tiefen Seufzer. »Weißt du was, wir zeigen deinem amerikanischen
     Professor die Stadt vom Auto aus, das ist bequemer.«
    Lena überlegte. In Gegenwart von Michael würde Wolkow kaum wagen, ihr mit seinen Zärtlichkeiten zu Leibe zu rücken. Sie würden
     keine Sekunde allein sein. Bomben und Kugeln wären in einer solchen Situation ebenfalls ausgeschlossen. Aber vor allem würde
     vielleicht endlich mehr Licht in die Sache kommen.
    »Gut, Wenja«, stimmte sie zu. »Aber ich habe eine Bitte an dich. Michael darf nicht merken, daß wir – daß sich zwischen uns
     etwas anbahnt.«
    »Ja, natürlich, ich tue so, als wäre ich ein guter alter Bekannter oder Kollege, ganz wie du willst. Um wieviel Uhr soll ich
     euch abholen?«
    »Gegen zwölf. Wir kommen nach unten in den Hof. Ich danke dir.«
    Das ist alles sehr seltsam, dachte Lena, als sie aufgelegt hatte. Wolkows Frau ist nicht zu Hause. Das muß noch nicht heißen,
     daß sie hier war und die Tür öffnen wollte. Aber immerhin, sie ist nicht da. Und Wolkow benimmt sich, als sei er wirklich
     verliebt, will sogar einen wildfremden amerikanischen Professor durch Moskau chauffieren, bloß um ein paar Stunden mit mir
     zusammen zu sein. Aber warum auch nicht, ist ja ganz clever – den Verliebten zu spielen und mich dabei nicht aus den Augen
     zu lassen. Andererseits ist er ein sehr beschäftigter Mann. Er hat doch bestimmt die Möglichkeit, mich durch Profis beschatten
     zu lassen. Und er agiert gemeinsam mit seiner Frau. Ist denn das, was ich weiß, so gefährlich für sie, daß sie niemanden um
     Hilfe bitten können? Bei ihrem Geld und ihren Verbindungen? Und wenn ich so gefährlich für sie bin, warum bin ich immer noch
     am Leben? Wenn sie gemeinsam vorgehen, warum hat sie dann heute versucht, in meineWohnung einzudringen? Er hat ja schließlich den ganzen Abend bei mir angerufen und wußte, daß ich nicht zu Hause bin. Michael
     hat sich doch nicht nur eingebildet, daß jemand einbrechen wollte? Und wenn sie es nicht war, wer dann?
    Nein, dieses Rätsel kann ich nur lösen, wenn ich weiß, was vor vierzehn Jahren in Tobolsk geschehen ist. Was haben wir damals
     gesehen, aber nicht begriffen? Vielleicht schleppt Wolkow aus jener Zeit noch irgendeine schmutzige Geschichte mit sich herum.
     Und wir drei wurden ungewollt Zeugen. Auf keinen Fall darf er erfahren, wohin ich morgen nacht fliege. Ich muß auf seine Komödie
     eingehen und sein Spiel mitspielen.
    Daran, daß es sich um ein Spiel handelte, zweifelte Lena keinen Augenblick. Sie hatte so große Angst, daß sie kaum logisch
     denken konnte. Vielleicht verhielt sie sich nicht richtig. Sollte sie nicht besser Serjosha anrufen und ihn bitten, eher zurückzukommen,
     weil sie allein nicht damit fertig wurde? Aber umbringen konnte man sie auch, wenn er hier war. Oder war womöglich noch nichts
     entschieden, und sie konnte noch hoffen? Vielleicht hatte ja auch Olga recht, Wolkow hatte den Kopf verloren und sich leidenschaftlich
     verliebt. Seine Frau fürchtete, ihn zusammen mit dem Riesenvermögen zu verlieren, und versuchte, die Affäre, die noch gar
     nicht begonnen hatte, zu vereiteln? Mitja und Katja hatten damit vielleicht gar nichts zu tun? Und sie, Lena, jagte einer
     phantastischen Geschichte hinterher, die es gar nicht gab. Einem Gespenst. Oder das Gespenst hinter ihr?
    »Na, du hast ja ganz schön gequalmt!« flüsterte Olga, die in Lenas altem Morgenmantel aus dem Bad geschlüpft kam. »Hast du
     Feuchtigkeitscreme?«
    »Auf dem Toilettentischchen im Schlafzimmer.«
    »Nun zerbrich dir nicht länger den Kopf!« Olga setzte sich auf den Hocker Lena gegenüber und nahm sich eineZigarette. »Erzähl Wolkow lieber von den Eskapaden seiner teuren Gattin. Sag ihm: Mein Schatz, ich liebe dich, aber dein hinterlistiges
     Weib trachtet mir nach dem Leben; beschütze mich vor ihr, mein Liebster!«
    »Er mich beschützen, ausgerechnet!«

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