Die leichten Schritte des Wahnsinns
Kindergarten.«
Es war schon halb elf, als sie endlich im Auto saßen. Auf der Rückfahrt redete sich Lena alles von der Seele und erzählte
der Freundin von der Ärztin, von dem explodierten Kinderwagen und von der heutigen Begegnung mit Wolkow. Olga hörte schweigend
zu, nur hin und wieder stellte sie eine kurze, sachliche Frage.
Die abendliche Chaussee war fast leer, Olgas Volkswagen kam rasch und zügig voran.
»Und jetzt denk mal nach«, bat Lena, als sie fertig war, »hat irgend jemand dich in Gespräche über Selbstmörder oder Selbstmord
im allgemeinen verwickelt?«
»Da brauche ich nicht zu überlegen«, schnitt Olga ihr das Wort ab. »Niemand.« Sie lächelte bitter. »Ich hätte ihn auchzum Teufel gejagt – selbst, wenn dieser Jemand sich als Kunde unserer Firma ausgegeben hätte.«
»Das heißt, auf diese Weise konnte man nicht herausfinden, wie gut du Bescheid weißt?«
»Das ist ja auch gar nicht nötig. Was ich weiß oder nicht weiß, ist für niemanden bedrohlich. Das gibt es nur in amerikanischen
Filmen – den einsamen Kämpfer, der den mysteriösen Tod eines nahen Verwandten aufklärt, die tückischen Mörder findet und bestraft.
Im wirklichen Leben kommt so etwas äußerst selten vor. Ich habe nicht die Absicht, den Mörder zu suchen – wenn denn ein solcher
überhaupt existiert. Ich muß weiterleben, mich daran gewöhnen, daß es Mitja nicht mehr gibt, und Mama, Papa und der Oma helfen,
damit fertigzuwerden. Das kostet so viel seelische Energie, daß für alles andere keine Kraft mehr bleibt.«
»Aber wieso meinen sie dann, daß ich den Privatdetektiv spielen will? Wenn sie davon ausgehen konnten, daß nicht einmal die
leibliche Schwester sich einmischt …«
»Mit der Explosion des Kinderwagens hat der Tod von Mitja und Katja nicht das geringste zu tun. Ich jedenfalls kann keine
Verbindung sehen. Ich glaube, Wolkows Frau will dich aus dem Weg räumen.«
»Wolkows Frau?« Lena lächelte spöttisch. »Etwa aus Eifersucht? Das ist doch Blödsinn!«
»Wieso Blödsinn? Mord aus Eifersucht ist gar nicht selten, heute sowenig wie vor dreihundert Jahren«, erklärte Olga fest.
»Aber der Kinderwagen ist gestern explodiert. Und Wolkow habe ich erst heute getroffen. Wir haben uns vierzehn Jahre nicht
gesehen. Wenn wir ein Verhältnis hätten und dieses Verhältnis eine glückliche Ehe gefährden würde, dann könnte man von Eifersucht
reden.«
»Aber warum hältst du es nicht für möglich, daß seine Frau etwas geahnt hat? Versteh doch, einen Mann wieWolkow zu verlieren hat schwerwiegende Folgen. Es geht vielleicht nicht nur um Eifersucht, sondern auch um sehr viel Geld.«
»Olga, Wolkow und ich stehen in keinerlei Beziehung zueinander. Ich hatte schon ganz vergessen, daß es ihn gibt.«
»Aber er hat dich nicht vergessen. Vielleicht hat er diese ganzen vierzehn Jahre deinen Namen im Schlaf gerufen!«
»Den Nachnamen wohl auch?« Lena lachte nervös auf. »Warum hat sie mich dann nicht schon früher attackiert?«
»Die Menschen ändern sich«, sagte Olga seufzend. »Männer zwischen vierzig und fünfundvierzig stecken oft in der Krise. Lange
Zeit lebte Wenja Wolkow ruhig und zufrieden, machte Karriere und viel Geld, sah um sich herum Berge von Scheiße und wühlte
mit Vergnügen darin herum. Aber eines Tages war er es leid. Er begriff plötzlich, daß sein Leben ohne Liebe und Zärtlichkeit
vergeht. Früher einmal war er leidenschaftlich in die schöne, rätselhafte und unzugängliche Lena Poljanskaja verliebt. All
diese Jahre war Lena ihm in zärtlichster, reinster Erinnerung geblieben. Zumal es damals bei euch nicht bis zum Bett gekommen
ist. Und dabei wollte er nur allzu gern, das weiß ich noch genau.«
»Aha«, Lena nickte, »und deshalb beschließt seine Frau, eine der reichsten Damen Rußlands, eine Bombe in einen Kinderwagen
zu schmuggeln? Olga, hör auf mit diesem Unsinn. Lisa und ich sind gestern fast ermordet worden.«
»Und du glaubst, das hat Wolkow getan?«
»Nein. Ich weiß nicht. Aber ich glaube nicht, daß es seine Frau war. Olga, das ist doch wirklich albern! Er ist von den schönsten
Frauen Rußlands umgeben. Warum gerade ich? Was habe ich da verloren?«
»Er ist von den schönsten Beinen und Titten umgeben.«Olga lächelte spöttisch. »Aber Frauen gibt es dort wenige.«
»Nicht doch.« Lena machte eine abwehrende Handbewegung. »Gerade dort gibt es genug Frauen, schicke, superattraktive, für jeden
Geschmack. Längst nicht
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