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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Augen waren hinter den dunklen Gläsern der Brille verborgen. Auch
     Lena hatte eine Sonnenbrille aufgesetzt – der Tag war hell und sonnig.
    »Früher nannten eure Korrespondenten New York gern die Stadt der Kontraste«, sagte Michael, als sie über den verschandelten
     Alten Arbat gingen, »aber schreiendere Kontraste als in Moskau habe ich nicht einmal in Kairo oder Bombay gesehen. Der Arbat
     war doch einmal eine wunderschöne, gemütliche Straße, mit der sich viele Namen und historische Ereignisse verbanden. Was hat
     man bloß aus ihm gemacht? Hör mal«, er besann sich plötzlich, »warum schweigt dein Bekannter eigentlich die ganze Zeit?«
    »Wenjamin spricht kein Englisch.«
    »Dann übersetz doch bitte. Ich würde mich gern miteinem Mann unterhalten, der in einem Mercedes durch Moskau fährt. Er ist doch ein echter neuer Russe?«
    »Wenja, bist du ein neuer Russe?« fragte Lena.
    »Ich weiß nicht.« Er zuckte die Schultern. »Vermutlich ja. Kommt drauf an, was man unter diesem Begriff versteht.«
    Innerhalb weniger Minuten entspann sich zwischen Michael und Wolkow ein lebhaftes Gespräch. Während Lena mechanisch übersetzte,
     betrachtete sie diesen freundlichen, intelligenten, gut erzogenen Menschen und dachte, es sei unmöglich, sich ihn in der Rolle
     eines Verbrechers vorzustellen. In der Rolle des feurigen Verliebten ebensowenig.
    »Business im eigentlichen Sinne des Wortes gibt es hier noch nicht«, sagte Wolkow. »Bei uns ist Business so eng mit dem kriminellen
     Milieu verflochten, daß es unmöglich ist, eine genaue Grenze zu ziehen, nicht einmal annähernd.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß es bei Ihnen praktisch keinen Unterschied zwischen Geschäftsleuten und Gangstern gibt? Und wie
     sieht es mit den Politikern aus?«
    »Genauso. Unser gesamtes Kapital, auch das der Parteien, hat einen kriminellen Ursprung.«
    »Was glauben Sie, ist das nun das Resultat des bolschewistischen Regimes, oder handelt es sich um ein ganz neues, eigenständiges
     Phänomen?«
    »Jedes Phänomen hat seine Wurzeln. Was jetzt geschieht, kommt nicht von ungefähr. Ich weiß nicht, welches Regime besser ist,
     das bolschewistische oder das kriminelle.«
    »Meinen Sie nicht, daß das verwandte Begriffe sind?« Michael kniff die Augen zusammen. »Viele Bolschewiken waren Banditen.
     An die Macht kamen sie auf den Schultern der Lumpenproletarier und Verbrecher.«
    »Mein Großvater war Kommissar und Bolschewik«, sagte Wolkow, »und ich bin ein erfolgreicher Geschäftsmann. Alles im Leben
     ist relativ und miteinander verflochten … Frierst du? Deine Hände sind eiskalt. Ich möchte dich umarmen und wärmen.«
    Lena dolmetschte mechanisch und übersetzte unwillkürlich auch diese letzten Sätze. Michaels Brauen kletterten ungläubig nach
     oben.
    »Wie bitte?« fragte er verdutzt.
    Erst jetzt merkte sie, daß Wolkow ihre Hand hielt, fest und zärtlich, und sie mit den Fingerspitzen kaum merklich streichelte.
     Sie war so mit dem Synchronübersetzen beschäftigt gewesen, daß sie es nicht gespürt hatte.
    »Oh, McDonald’s!« rief Michael freudig. »Ich hätte nichts gegen einen kleinen Imbiß.«
    »Hat er Hunger?« fragte Wolkow leise.
    »Ja«, sagte Lena, »und ich auch, ehrlich gesagt.«
    »In dem Schuppen da drüben werden wir nicht essen.« Wolkow nickte verächtlich zu McDonald’s hinüber. »Sag ihm, wir fahren
     in einen Privatclub, wo er echte neue Russen in all ihrer Pracht bewundern kann.«
    Sie gingen zum Auto zurück, und zehn Minuten später öffnete sich vor ihnen ein schmiedeeisernes Tor, das den Hof einer alten
     Kaufmannsvilla von der Herzenstraße und der gesamten übrigen Welt trennte. Auf dem steinernen Pfeiler am Tor prangte vielsagend
     nur der von kapriziösen Schnörkeln umrankte Buchstabe »C«.
    »Was für ein interessanter Ort«, schnatterte Michael, während ihm ein breitschultriger, kahlrasierter junger Mann im Anzug
     seine pelzgefütterte Jacke abnahm. »Ist das ein richtiger Geheimclub? Und was bedeutet der Buchstabe C? Sicher ist hier alles
     sehr teuer?«
    Wolkow half Lena beim Ausziehen ihrer Lederjacke und flüsterte ihr dabei rasch ins Ohr: »Mein Sonnenschein, mein Liebes –
     ich habe heute eine Live-Sendung im Fernsehen, um acht muß ich nach Ostankino fahren. Ich bringe dich und den Amerikaner nach
     dem Mittagessen nach Hause, und danach hole ich dich von Ostankino aus ab. Hier in der Nähe ist eine Wohnung … Ich kann ohne
     dich nicht sein. Wir verlieren kostbare Zeit,

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