Die leichten Schritte des Wahnsinns
Bosheit zurückgehalten. Asarows Mutter war wirklich immer noch in einem ernsten Zustand.
»Ich danke Ihnen ganz herzlich, Galina Sergejewna, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie wichtig das ist, was Sie mir
gerade erzählt haben«, sagte er freundlich. »Heute willich Sie nicht weiter beunruhigen. Morgen bringe ich Ihnen ein paar Fotos.«
»Das können Sie ruhig heute schon tun, ich bitte die Ärztin, Sie hereinzulassen. Wenn Sie nur den Mörder finden.«
Außer den Fotos muß ich noch Blumen mitbringen, dachte Mischa, für sie und für die Ärztin. Es ist wirklich besser, alles gleich
heute zu erledigen.
Wie jeder erfahrene Einsatzleiter hatte auch Mischa sein eigenes System von kleinen Bestechungen entwickelt. Er wußte genau,
was er wem schenken mußte, um ein Gespräch zu bekommen. Keine normale Frau lehnt einen Blumenstrauß ab, auch nicht die grimmige
Herzspezialistin einer Privatklinik. Und bei einer Mutter, die ihren einzigen Sohn verloren und einen Infarkt erlitten hat,
mit leeren Händen zu erscheinen wäre mehr als schäbig.
Die Eltern von Mitja Sinizyn waren sehr erstaunt, als der Einsatzleiter aus der Petrowka sie um Fotos ihres verstorbenen Sohnes
bat.
»Werden denn die Ursachen für Mitjas Tod immer noch untersucht? Wir haben doch einen offiziellen Bescheid von der Staatsanwaltschaft
bekommen, und die Miliz war auch von Anfang an überzeugt, daß Mitja Selbstmord begangen hat«, murmelte die Mutter des Toten
mit brüchiger Stimme, während sie in einem Album mit Familienfotos blätterte.
»Bei unserer Arbeit gibt es viele Überraschungen«, erwiderte Mischa unbestimmt.
Am Abend hatte er Gewißheit: Juri Asarow hatte sich zwei Tage vor der Schießerei im Restaurant mit Sinizyn getroffen. Offensichtlich
hatte der Skandal bei der Präsentation den Sänger so beeindruckt, daß er den Randalierer unverzüglich ausfindig machte, um
sich schon einen Tag später mit ihm zu treffen. Das »besoffene Geschwätz«, in dem das schwerwiegende Wort »Mörder« gefallen
war, hatte ihn also ernsthaft interessiert. Vielleicht hatte er als einziger begriffen,daß Sinizyn damit keineswegs den »Mord an Talenten« gemeint hatte.
Worüber diese beiden, der erfolgreiche Schlagersänger Juri Asarow und der glücklose Liedermacher Mitja Sinizyn, gesprochen
hatten, würde nun niemand mehr erfahren.
***
Als der Wecker schrillte, schien es Lena, sie hätte überhaupt nicht geschlafen.
In der Küche saß Olga bereits beim Frühstück, fertig angezogen, geschminkt und gekämmt.
»Ich muß rasch los«, erklärte sie, schlüpfte hinterm Tisch hervor und trank ihren Kaffee im Stehen aus. »Michael ist schon
joggen.«
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, wählte Lena die Telefonnummer der Nachbarn von gegenüber.
»Ja«, bestätigte der Besitzer des Boxers, »gegen zwei Uhr nachts stand eine Frau auf dem Treppenabsatz und wartete auf den
Aufzug. Aus welcher Tür sie gekommen ist, habe ich nicht gesehen. Warum?«
»Ist nicht so wichtig. Alles in Ordnung. Wissen Sie noch, wie sie aussah?«
»Groß, elegant, um die vierzig. Ehrlich gesagt, so genau habe ich sie mir nicht angesehen. Eine angenehme, kultivierte Erscheinung.
Wollte Sie zu Ihnen?«
»Ja. Aber ich war nicht zu Hause. Haben Sie vielen Dank.«
Lena legte auf und dachte einen Moment nach. Dann wählte sie eine der Nummern, die ihr Major Ijewlew vom FSB gegeben hatte.
»Wie gedenken Sie den heutigen Tag zu verbringen?« fragte der Major, nachdem er ihren Bericht gehört hatte. »Wenn ich mich
recht erinnere, geht Ihr Flugzeug nach Tjumen heute nacht um eins.«
»Ich werde meinen Amerikaner durch Moskau fahren.«
»In Ihrem Auto?«
»Ich kann gar nicht fahren. Ein Bekannter hat mir seine Dienste angeboten.«
Um zehn nach zwölf erhielt der Major von seinen Außenmitarbeitern die Mitteilung, daß das observierte Objekt gemeinsam mit
einem älteren Ausländer in einem schwarzen Mercedes in Richtung Stadtzentrum fuhr. Eine halbe Stunde später vernahm Ijewlew
mit Erstaunen, daß der Eigentümer dieses Wagens Wenjamin Borissowitsch Wolkow war. Dieser Name bedurfte keines weiteren Kommentars.
Am Steuer des Mercedes saß, eine Brille mit dunklen Gläsern auf der Nase, Wolkow höchstpersönlich.
»Na, Sie haben ja tolle Bekannte, Jelena Nikolajewna!« Der Major stieß einen Pfiff aus und ordnete an, die Observierung fortzusetzen.
Kapitel 25
Er benahm sich tatsächlich wie ein alter Bekannter. Seine
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