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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ahnen können, wie diese beiden Schurken ihren unschuldigen
     Leichtsinn ausnutzen würden.
    Für Spaten hatte sich Mischa noch eine besondere Überraschung aufgehoben. Bei der Hausdurchsuchung hatte man bei ihm eine
     beträchtliche Summe Dollar beschlagnahmt. Mischa würde Spaten ganz beiläufig mitteilen, daß die grünen Scheinchen, insgesamt
     fünftausenddreihundert Dollar, nach Ansicht der Experten Falschgeld seien. Und er würde ihn fragen: Wer hat dich Ärmsten denn
     so gemein übers Ohr gehauen?
    Große Hoffnungen auf Erfolg machte sich Mischa freilich nicht. Natürlich würde Spaten einen hysterischen Anfallbekommen, und Kralle ebenfalls. Aber zerstreiten würden sie sich wegen der Gradskaja wohl kaum. Sie wollten beide leben.

Kapitel 29
    Sascha machte eine richtige Stadtrundfahrt mit ihnen und erzählte viel über die Geschichte von Tjumen.
    Michael konnte gar nicht genug bekommen und wiederholte immerzu: »Was für ein Glück wir mit diesem Sascha haben!«
    Lena war ganz seiner Meinung.
    »Du weißt nicht zufällig, wo die Malaja-Proletarskaja-Straße ist?« fragte sie ihn, als er sie abends um halb acht wieder zum
     Hotel brachte.
    »Zufällig weiß ich es«, sagte Sascha und lächelte. »Warum?«
    »Ich will dort Bekannte besuchen.«
    »Weißt du was, ich fahr dich hin. Das geht schneller, als es zu erklären.«
    »Gern, danke. Aber deine Familie wartet doch sicher auf dich.«
    »Meine Familie ist gerade zu Besuch bei der Schwiegermutter in Tobolsk«, sagte Sascha und blickte Lena mit seinen klaren,
     ehrlichen Augen durch die Brille an.
    »Bist du eigentlich kurzsichtig oder weitsichtig?« fragte sie ihn.
    »Auf einem Auge habe ich minus drei, auf dem anderen minus zwei. Wieso?«
    »Nur so. Gewöhnlich vergrößern oder verkleinern die Gläser die Augen. Aber bei dir wirkt es wie einfaches Fensterglas. Na,
     genug davon, es ist schon spät, und ich muß unbedingt noch heute dorthin.«
    Lena brachte Michael auf sein Hotelzimmer. Sascha wartete im Auto auf sie. Bis zur Malaja Proletarskaja fuhren siezwanzig Minuten. Das Haus Nummer 15 war das einzige einstöckige Holzhaus zwischen lauter grauen Plattenbauten. Es kauerte
     versteckt in einem Hof, umgeben von einem niedrigen Zaun. Solche Dorfhäuser mitten in der Stadt waren für Sibirien keine Seltenheit.
     Anfang der Achtziger gab es davon noch mehr; jetzt waren nur wenige übriggeblieben.
    Im Fenster schimmerte behagliches Licht. Die Pforte war offen. Lena stieg die quietschende, aber stabile Vortreppe hinauf
     und klopfte.
    Man hörte schnelles Schlurfen, dann wurde die Tür aufgerissen. Auf der Schwelle stand eine große, hagere alte Frau mit einem
     weißen Kopftuch aus Kattun.
    »Guten Abend«, sagte Lena. »Wohnt hier die Familie Slepak?«
    Die Alte nickte. »Ja, kommen Sie nur herein.«
    »Sind Sie Raissa Danilowna?« Lena trat unentschlossen in die dunkle, mit sauberen Läufern ausgelegte Diele.
    Im Haus roch es nach frischgescheuertem Holzboden, gekochten Kartoffeln und Medikamenten.
    »Ich bin ihre Schwester«, sagte die Frau. »Zieh die Schuhe aus, ich habe den Boden gewischt. Geh in den Salon. Raja!« rief
     sie halblaut. »Hier ist ein Mädchen, das will zu dir.«
    Lena zog gehorsam die Schuhe aus und ging auf ihren dünnen Strümpfen vorsichtig über die feuchten Läufer und durch die angelehnte
     Tür.
    Was die Alte feierlich als »Salon« bezeichnet hatte, war ein kleines, penibel aufgeräumtes Zimmer, an dessen Wänden alte Fotografien
     in geschnitzten Holzrahmen hingen. Zwischen den beiden Fenstern befand sich der Gebetswinkel; dort brannte mit schwacher Flamme
     ein Öllämpchen unter dem dunklen Antlitz der Kasaner Muttergottes.
    In der Mitte des Zimmers stand unter einem großen orangefarbenen Lampenschirm mit Fransen ein runder, vollkommen leerer Tisch,
     auf dem eine schneeweiße,bestickte Decke lag. An dem Tisch saß eine alte Frau, die das gleiche weiße Kopftuch trug und das gleiche eingetrocknete,
     markante Gesicht hatte wie die Frau, die ihr die Tür geöffnet hatte.
    »Guten Abend. Sind Sie Raissa Danilowna?« Lena blieb unsicher stehen.
    »Ja, ich bin Raissa Danilowna«, sagte die alte Frau. »Was stehst du da? Komm rein, setz dich.«
    Lena setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
    »Mein Name ist Poljanskaja. Ich bin aus Moskau«, begann sie und spürte den schweren Blick aus den blaßblauen Augen der Alten
     auf sich. »Vor dreizehn Jahren habe ich Ihnen eine Zeitschrift mit den Gedichten Ihres Sohnes Wassili

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