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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ein kleines, mit einem Plastikgriff. Das soll die Mordwaffe gewesen sein.«
    Lena fühlte eine unangenehme Kälte im Magen.
    »Raissa Danilowna, ich weiß, es sind viele Jahre vergangen. Aber wissen Sie vielleicht noch, wie dieser Pullover aussah?«
    »Ein handgestrickter heller Pullover aus ungebleichter Wolle. Am Hals war ein elastisches Bündchen. Ein einfaches Muster,
     Rhomben, glaube ich.«
    »Waren kurz vor der Verhaftung Ihres Mannes irgendwelche fremden Leute bei Ihnen im Haus?« fragte Lena ohne viel Hoffnung
     auf Erfolg.
    »Eine Frau war da und hat Geld gebracht. Sie sagte, es käme vom Komitee der Sowjetfrauen, eine Unterstützung für die Mütter
     von Strafgefangenen zum Neuen Jahr. Fünfzig Rubel. Sie gab mir eine Quittung zur Unterschrift.«
    »Das wissen Sie noch genau? Nach so vielen Jahren?« fragte Lena verwundert.
    »Ich habe es deshalb behalten, weil es so was noch nie gegeben hatte. Meine Nachbarin, Warwara Strogowa, hab ich noch danach
     gefragt, ihr Andrjuscha saß damals auch im Gefängnis. Aber bei der war niemand gewesen und hatte Geld gebracht. Ich dachte,
     ich allein hab so ein Glück gehabt – fünfzig Rubel waren damals eine Menge Geld. Und wir hatten kaum etwas zu beißen, Nikita
     vertrank ja alles. Ich bin noch in die Kirche gegangen, habe eine Kerze für dieses Komitee aufgestellt, und Wassja habe ich
     für das Geld ein Neujahrspaket geschickt. Die Frau vergaß man auch nicht so leicht, sie sah zum Fürchten aus.«
    »Was meinen Sie damit? So häßlich?«
    »Das ist noch milde gesagt, häßlich. Ich hab noch gedacht, das ist ja eine Strafe, mit so einem Gesicht auf die Welt zu kommen,
     noch dazu als Frau. Aber sie war gebildet, höflich und gut gekleidet. Und die Quittung war echt, mit Stempel.«
    »Haben Sie dem Untersuchungsführer von ihr erzählt?«
    »Natürlich, in allen Einzelheiten! Aber keiner hat mir geglaubt, alle haben gesagt, Danilowna, du lügst wie gedruckt. Nur
     dieser Sacharow ist dann eines Abends gekommen und hat mich ausführlich über diese Frau befragt. Er hat alles aufgeschrieben.
     Und was ist dabei herausgekommen? Eine Woche später ist er nach Tobolsk zurückgefahren, und dort hat man ihn ermordet. Was
     für ein Schlag für seine Mutter! Er war ein so guter Mensch.«
    »Entschuldigen Sie, Raissa Danilowna, hat Ihr Mann stark getrunken? War er bei der Drogenfürsorge registriert?«
    »Bei der Drogenfürsorge und auch bei der psychologischen Betreuung. Überall war er bekannt. Man soll ja über die Toten nichts
     Böses sagen, aber wenn er getrunken hatte, konnte er zum Tier werden. Und nachher war er immer unleidlich.«
    Lena schwirrte der Kopf. Sie verlor jedes Zeitgefühl. Erst als Raissa Danilowna alles erzählt hatte, sah Lena auf die Uhr.
     Viertel vor elf! Sascha war bestimmt schon weg. Sie würde allein zum Hotel zurückfinden müssen.
    »Wo du schon hier bist, kannst du mir helfen«, wandte Soja Danilowna sich an sie. »Raja muß ins Bett gebracht werden. Normalerweise
     mache ich das allein, aber wo du gerade hier bist …«
    Sogar zu zweit war es sehr schwer, die an beiden Beinen gelähmte Frau vom Stuhl aufs Bett zu tragen.
    »Wie schaffen Sie das nur allein?« fragte Lena leise, als Soja Danilowna sie in die Diele hinausbegleitete.
    »Ich bin’s gewohnt«, sagte die alte Frau schulterzuckend, »jetzt geht es schon besser. Sie kann ja wenigstens die Arme wieder
     bewegen.«
    »Hat sie das schon lange?«
    »Elf Jahre. Als man ihr die Nachricht gebracht hat, daßdas Urteil vollstreckt und Nikita tot ist, da ist sie der Länge nach auf den Boden geschlagen und nicht wieder aufgestanden.«
    »Sagen Sie, Soja Danilowna, woher konnte sie wissen, weshalb ich gekommen bin?«
    »Sie erzählt allen dasselbe. Egal, woher einer kommt – vom Sozialamt, aus der Poliklinik, von der Post oder der Sparkasse,
     alle starrt sie mit ihren Glubschaugen an und fragt nach den ersten Worten: Suchst du nach dem wirklichen Mörder? Der Arzt
     sagt, das ist eine Manie bei ihr. Eine Form von Geistesgestörtheit. Aber jetzt hat sie auf einmal recht behalten. Es stimmt
     doch, du suchst wirklich nach dem Mörder? Bist wohl von der Miliz?«
    »Nein.« Lena schüttelte den Kopf. »Ich komme nicht von der Miliz. Ich bin tatsächlich Journalistin.«
    »Verstehe.« Die Alte kniff die Lippen zusammen. »Du brauchst nicht zu reden, wenn du nicht willst. Ich bin nicht neugierig.«
    Lena hatte sich schon die Schuhe zugebunden und ihre Jacke angezogen.
    »Soja Danilowna, wo

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