Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
Ferne krachte etwas. Die Schwärze vorm Fenster wurde einen Moment lang von einem blassen Lichtschein erhellt. Die Scheiben
     klirrten leicht.
    »Haben Sie das gehört, Lena? Was war das?« fragte die alte Frau erschrocken.
    »Hörte sich an wie eine Explosion.« Lena blieb in der Tür stehen. »Tatsächlich, wie eine Explosion.«
    »Vielleicht ein Unfall auf der Chaussee? Soll ich jemanden rufen, der Sie bis zur Bushaltestelle begleitet?«
    »Danke, es ist wirklich nicht nötig.«
    Lena verabschiedete sich von Valentina Jurjewna und trat auf den leeren Flur hinaus. Nun paßt also eins zum andern, dachte
     sie, während sie über den Läufer schritt. Seltsamerweise fällt es mir leichter zu glauben, daß Wolkow die Mädchen vergewaltigt
     und ermordet und Regina Gradskaja dieses ganze verzwickte Manöver inszeniert hat, um seine Spuren zu verwischen, als daß Regina
     die leibliche Tochter von Valentina Jurjewna ist.
    Hinter ihr knarrten die Dielenbretter unter dem dicken Läufer. Sie wollte sich umdrehen, aber es war schon zu spät – etwas
     Hartes bohrte sich zwischen ihre Schulterblätter.
    »Kein Gehampel und kein Geschrei«, flüsterte eine Männerstimmeunmittelbar an ihrem Ohr. »Marsch vorwärts, ruhig und langsam. Ein Schritt zur Seite – und ich schieße. So ist’s brav. Die
     Hände aus den Taschen, bist ein kluges Kind. Jetzt die Treppe runter. Sieh dich nicht um.«
    Sie stieg Stufe für Stufe hinunter. Ihr war schwindlig, der Mund wurde ihr trocken, die Beine watteweich. Ein Treppenabsatz,
     dann der nächste. Dort drüben am Ausgang mußte der Wachmann stehen. Nein, man führte sie in die andere Richtung, irgendwohin
     ins Dunkel, wahrscheinlich zu einem Hinterausgang.
    »Jetzt nach rechts.« Der Mann stieß sie mit der Mündung der Pistole in ein finsteres Loch.
    Eine Sekunde später drehte ihr jemand rasch und geschickt die Arme auf den Rücken, und Lena spürte kaltes Metall an ihren
     Handgelenken. Handschellen klackten.
    Das Auto stand direkt vor dem Hinterausgang. Lena wurde in einen riesigen Jeep gestoßen, sie landete auf dem Rücksitz zwischen
     zwei Gorillas, die sie in der Dunkelheit nicht richtig erkennen konnte. Insgesamt waren fünf Männer im Auto. Als der Wagen
     sich in Bewegung setzte, zog einer der beiden neben ihr mit der gewandten Bewegung eines Zauberkünstlers irgendeinen Lappen
     aus der Tasche und verband Lena die Augen, wobei er einige Haarsträhnen schmerzhaft festzurrte.
    »Geht das auch ordentlicher?« fragte Lena mit verzogenem Gesicht und erkannte ihre eigene Stimme nicht wieder.
    »Pardon«, entschuldigte der Gorilla sich höflich.
    »Sie haben mir die Haare festgeknotet, das ziept«, erklärte sie ruhig. »Und überhaupt, glauben Sie, ich könnte in dieser Finsternis
     irgend etwas sehen?«
    »Halt die Klappe, sonst machen wir dich kalt!« schnauzte der Mann neben ihr.
    Aber Lena war nicht zu halten. Aus irgendeinem Grund fand sie es in dieser Situation weniger schrecklich zu redenals zu schweigen. Der Klang der eigenen Stimme wirkte beruhigend, wie eine Bestätigung, daß sie noch am Leben war.
    »Wenn Sie den Befehl hätten, mich kaltzumachen, hätten Sie das längst getan. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir erstens
     diesen Knoten ordentlicher zubinden und zweitens eine Zigarette geben würden.«
    »Die gefällt mir, echt!« sagte einer, der vorne saß. »He, Rübe, bind ihr den Fetzen anständig zu und gib ihr was zu rauchen.«
    Der Mann, der Rübe genannt worden war, machte sich wieder an dem Knoten zu schaffen und zerrte dabei unbarmherzig an Lenas
     Haaren. Gleich darauf klickte ein Feuerzeug, und Lena wurde eine Zigarette in den Mund geschoben.
     
    Sie fuhren anderthalb Stunden. Den ganzen langen Weg über wurde kein einziges Wort mehr gesprochen. Der Kassettenrecorder
     lief, der Solist einer bekannten Popgruppe sang mit rauhem Baß ein trauriges Lied von Gefängnis und Liebe.
    Wenn sie mich töten wollten, hätten sie es sofort getan, dachte Lena. Das heißt, ich habe eine Chance, mit dem Leben davonzukommen.
     Einem Todeskandidaten würden sie nicht die Augen verbinden.
    Im Auto war es warm. Die Kassetten wurden mehrmals gewechselt. Ab und zu fiel einer von Lenas Nachbarn träge ein und sang
     eine besonders bekannte Melodie mit, widerwärtig falsch, mit hoher, klirrender Stimme.
    Das können nicht die Leute der Gradskaja sein. Die hätten mich sofort getötet. Sie hat ja nur dieses eine Ziel – mich zu töten,
     überlegte Lena. Was wohl auf der

Weitere Kostenlose Bücher