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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Chaussee explodiert ist? Und wo ist Ijewlew geblieben?
    Endlich hielt der Jeep an. Lena wurde hinausgeführt, ohne daß man ihr die Augenbinde abnahm. Unter ihren Schuhen knirschte
     festgetretener Schnee.
    »Vergessen Sie bitte meine Tasche nicht«, bat sie.
    »Los, weiter«, war die Antwort, man stieß sie leicht in den Rücken, aber nun nicht mehr mit der Pistole, sondern mit der Hand.
    Sie trat auf hölzerne Stufen, dann sickerte schwaches Licht durch die Augenbinde. Am Ellenbogen wurde sie durch mehrere geheizte
     Räume geführt. Erst jetzt merkte sie, wie verspannt ihre auf den Rücken gedrehten Arme waren. Die Schultern schmerzten unerträglich.
    »Nehmen Sie mir die Handschellen ab«, bat sie leise. »Ich laufe nicht weg und fange auch keine Schlägerei an.«
    »Du wirst es schon noch aushalten«, gab man ihr zur Antwort. Plötzlich wurde sie angehalten und unsanft in einen Sessel gestoßen.
     »Sitz ruhig, und fang ja nicht an zu schreien.«
    Gleich darauf schlug eine Tür zu. Lena blieb allein, ohne zu wissen, wo sie sich befand, in Handschellen und mit verbundenen
     Augen. Sie versuchte, eine bequemere Position einzunehmen, aber es war unmöglich. Die Schultern schmerzten immer heftiger,
     die Arme wurden gefühllos.
    Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Starker Durst quälte sie, ihr Mund war völlig ausgetrocknet. Es war sehr still.
     Sie glaubte schon, niemand sei im Haus, als plötzlich das Türschloß klackte. Schnelle, leichte Schritte näherten sich, jemand
     band ihr schweigend den Knoten im Nacken auf und nahm ihr vorsichtig, ohne an den Haaren zu zerren, die Binde ab.
    Im ersten Moment meinte Lena, sie sei blind geworden. Das Licht im Raum war nicht grell, stach aber schmerzhaft in die Augen.
     Schließlich sah sie, daß vor ihr ein großes Mädchen mit rundem Gesicht stand. Das Mädchen war fast genauso angezogen wie Lena,
     es trug Jeans und einen weiten langen Pullover. An den Füßen hatte es dicke Wollsocken und Männerpantoffeln.
    »Bitte geben Sie mir etwas zu trinken, und nehmen Sie die Handschellen ab«, bat Lena. »Ich laufe nicht weg.«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf und zeigte mit ausdrucksvoller Geste auf seine Ohren.
    Eine Taubstumme, ach je, dachte Lena betrübt und betrachtete das Zimmer, in dem sie die letzten Stunden verbracht hatte.
    Es war ein winziger, fast leerer Raum. Außer dem Sessel, in dem sie saß, gab es nur noch ein Eisenbett mit gestreifter Matratze.
     Kein Fenster. An der niedrigen Decke eine nackte Glühbirne.
    Lena schluckte heftig und ruckte mit den Schultern. Das Mädchen sah sie ruhig und nachdenklich an. Seine Augen waren strahlendblau
     und klar. Es ging hinaus und schloß hinter sich die Tür ab. Aber fünf Minuten später kam es mit einem Glas Wasser zurück und
     führte das Glas an Lenas Lippen. Ohne abzusetzen, trank Lena das säuerlich schmeckende Mineralwasser aus. Das Mädchen stellte
     das leere Glas auf den Fußboden und holte aus der Tasche seiner Jeans einen kleinen flachen Schlüssel, schloß damit die Handschellen
     auf, nahm sie ab und ging sofort wieder hinaus. Das Türschloß klackte. Lena blieb in völliger Einsamkeit zurück.
    Sie stand auf, reckte die steifen Arme und ging im Raum umher. Die Wände waren mit beiger Ölfarbe gestrichen. In einer Ecke
     befand sich eine zweite Tür. Lena drückte sie vorsichtig auf und entdeckte dahinter eine kleine Toilette und ein Waschbecken.
     Aus dem Hahn floß nicht nur kaltes, sondern auch heißes Wasser.
    Ich bin also irgendwo in einer Stadt, dachte sie. Aber Tobolsk haben wir verlassen, und bis Tjumen hätten wir es in anderthalb
     Stunden nicht geschafft. Na ja, eigentlich kann ich sonstwo sein. Die Mafia ist imstande, heißes Wasser sogar in die Wüste
     oder in die Taiga zu leiten, wenn sie es braucht.
    Es blieb ihr nichts anderes übrig als abzuwarten, was weiter geschehen würde. Sie wusch sich mit heißem Wasser, zog Jacke
     und Schuhe aus und legte sich auf die gestreifte Matratze. Den Blick auf die gelbliche Decke geheftet, bemühte sie sich, nicht
     zu weinen.
    ***
    Michael fuhr zusammen, als er die ersten Schüsse hörte. Sascha trat mit aller Kraft aufs Gas. Hinter ihnen auf der Kreuzung
     fuhr ein Wagen der Miliz dem dunkelvioletten Lada in die Quere und schnitt ihm den Weg ab. Michael verrenkte sich fast den
     Hals, um durchs Rückfenster auf die finstere nächtliche Chaussee zu schauen. Dort war eine Schießerei im Gange.
    »Vielleicht fahren wir gar nicht erst ins

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