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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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sollten noch heute zurück nach Moskau fliegen.«
    »Nach Moskau? Aber ich war doch noch nicht in Chanty-Mansijsk und in den Dörfern der Umgebung. Und Lena?«
    »Sie fliegt mit. Wir gehen jetzt zusammen in Ihr Hotelzimmer, und Sie packen so schnell wie möglich Ihre Sachen. Dann fahren
     wir nach Tjumen, direkt zum Flughafen. Es gibt einen Nachtflug, und diese Maschine werden Sie nehmen.«
    »Und wenn ich nicht einverstanden bin?«
    »Sie sind doch ein vernünftiger Mensch und wollen nicht Ihr Leben riskieren.«
    »Gut«, seufzte Michael, »Sie haben recht. Mein Leben will ich nicht aufs Spiel setzen. Aber eine Bedingung habe ich. Ohne
     Lena fliege ich nicht.«
    ***
    Nikolai Ijewlew sah, wie sich der kleine Moskwitsch von Sascha Wolkowez in Bewegung setzte und ein dunkelvioletter Lada ihm
     folgte.
    Macht nichts, sprach der Major in Gedanken zu den vier Gorillas im Lada. Gleich auf der Kreuzung werdet ihr Dreckskerle sowieso
     hopsgenommen, und wie!
    Es war längst dunkel. In dem vierstöckigen Altersheim waren nur wenige Fenster beleuchtet. Irgendwo hier, in dem hohen, dichten
     Gebüsch, das am Rande der Hauptstraße wucherte, warteten sie auf die Poljanskaja. Als das Motorengeräusch des Lada verstummt
     war, hörte Ijewlew ein leises Rascheln, das schwarze Dickicht der Sträucher bewegte sich.
    Er blickte auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. In zehn Minuten würde die Poljanskaja aus dem Haus kommen und die Allee hinuntergehen,
     vorbei an den schwarzen Sträuchern. Vielleicht würde man sie nicht sofort überfallen, sondern erst eine Weile beobachten.
     Möglich war beides.
    Ijewlew wußte, daß in diesem Moment hundert Meter weiter ein Armeefahrzeug stoppte, und lauschte auf die Autos, die vereinzelt
     über die Chaussee fuhren. Die Einsatzgruppe, fünf Männer vom lokalen FSB, war bereit, sofort einzugreifen, sobald ein verdächtiges
     Geräusch oder gar ein Schuß zu hören war.
    Ijewlews alte Lederschuhe waren völlig durchnäßt, durchtränkt vom geschmolzenen Schnee, und die Kälte durchdrang von den Füßen
     her den ganzen Körper. Er sehnte sich nach einer Zigarette und einem heißen Tee. Auch wenn mandie Banditen festnahm – er wußte, sie würden den Mund halten und ihren Paten um keinen Preis verraten. Sie hingen viel zu
     sehr am Leben.
    So war es immer, und so würde es immer bleiben. Die Handlanger und Hiwis schwiegen und schmorten im Lager. Die Paten aber
     schickten den ehrlichen Sträflingen Freßpakete und gefühlvolle Briefchen in die Zone und fuhren fort, als Alleinherrscher
     über ihre Erblande zu gebieten, über ihre Stücke vom Kuchen dieses riesigen Landes mit seiner Taiga, seinem Gold, seinem Erdöl,
     seinen Mohn- und Hanffeldern, seinen Banditen und Prostituierten, Volkskünstlern und Regierungsbeamten. So würde es immer
     sein. Und er, Major Ijewlew, der jetzt durchnäßt und durchfroren im verschneiten Gebüsch am Rande einer alten sibirischen
     Stadt saß und wartete – vielleicht auf eine verirrte Kugel, vielleicht auf eine Lungenentzündung –, er würde nichts daran
     ändern können.
    Aus den Sträuchern auf der anderen Straßenseite war ein schwacher Pfiff zu vernehmen. Weit weg auf der Chaussee begann der
     Motor des Armeefahrzeugs zu brummen. Im blassen Lichtstrahl der Laterne tauchte blitzschnell ein langer Schatten auf. Ein
     riesiger Körper stürzte sich von hinten auf den Major und warf ihn in den lockeren Schnee. Das Strauchwerk knackte trocken
     und scharf. Ijewlew konnte noch mit dem geübtem Griff seiner Linken das Handgelenk des Gegners packen, mit der Rechten entsicherte
     er bereits die Pistole, als plötzlich eine ohrenbetäubende Explosion krachte. In hundert Metern Entfernung flammte auf der
     Chaussee etwas grell auf und riß für einen Moment einen Fetzen Taiga, den niedrigen Himmel über den Kiefern und eine Ecke
     des vierstöckigen Ziegelbaus aus der Dunkelheit.
    Nur diesen einen kurzen Moment zögerte Major Ijewlew, aber da traf ihn die rasche Klinge auch schon ins Herz. Dasletzte, was er sah, waren der weißliche, verschwommene Fleck des Mondes hinter einer Schicht nächtlicher Wolken und die schwarzen,
     knorrigen Zweige des Strauches.
    ***
    »Danke, Valentina Jurjewna, für mich wird es Zeit«, sagte Lena, während sie sich erhob und ihre Jacke anzog.
    »Sie wollen doch so spät nicht allein gehen? Ich dachte, Sie würden abgeholt.«
    »Kein Problem«, sagte Lena. »Der Bus fährt noch bis zwölf. Und jetzt ist es erst halb elf.«
    In der

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