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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ich ihn gern esse, gegrillt, ohne Salz und Sauce,
     nur mit etwas Zitrone. Für ihn kochst du noch vier, fünf neue Kartoffeln und bestreust sie mit Dill. Für mich, wie immer,
     nur Spargel dazu. Und komm ja nicht auf die Idee, Sahne dranzutun, ich kenne dich – du willst mich immer mästen!«
    Als die Köchin gegangen war, betrachtete Regina ihren Mann mit einem prüfenden kalten Blick. Auf seinen Lippen hatte sich
     ein dünner weißer Belag gebildet, seine Hände hatten wieder zu zittern begonnen.
    »Na schön, gehen wir«, seufzte sie.
    Im ehemaligen Arbeitszimmer des Schriftstellers stand jetzt statt des Eichenschreibtisches ein zierlicher Damensekretär aus
     dem achtzehnten Jahrhundert, und auf den Bücherregalen hatten die Werke Lenins und Stalins der Großen Medizinischen Enzyklopädie
     und Büchern über Psychiatrie in Russisch, Englisch, Deutsch und Französisch weichen müssen. Auch Nietzsche, Freud und die
     Rerichs 1 waren vertreten. Drei Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Regalen bedeckt, ausschließlich philosophische , psychologische und esoterische Literatur. Bei genauerem Hinsehen merkte man – hier stand nicht die Sammlung eines neureichen
     Bibliophilen, sondern diese Bücher nahm die Besitzerin der Bibliothek regelmäßig in die Hand.
    Regina zog die Wildlederstiefel aus und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf die niedrige, breite Liege. Wolkow ließ
     sich ihr gegenüber auf dem Fußboden nieder und blieb reglos sitzen. Dabei blickte er unverwandt in ihrebraunen Augen, die im Licht der Schreibtischlampe seltsam flimmerten.
    »Heute sind sie bei mir gewesen«, begann er. »Von dort, aus der Vergangenheit, sind sie gekommen und haben sogar das gleiche
     Lied gesungen wie damals am Ufer des Tobol.«
    »Warte, überanstreng dich nicht, wir haben noch nicht angefangen«, unterbrach ihn Regina. »Wer war da?«
    »Zwei Mädchen zum Vorsingen. Das Duo ›Butterfly‹. Eine Blondine und eine Brünette, beide achtzehn. Zuerst ist mir nichts aufgefallen,
     aber als sie diese Romanze sangen, da habe ich plötzlich die anderen gesehen, die aus der Vergangenheit.«
    »Du begreifst doch, daß sie es nicht waren?« fragte Regina rasch.
    »Ja, das weiß ich. Aber ich habe Angst. Es kommt zuviel zusammen. Zuerst dieser Bursche, der beseitigt werden mußte, dann
     die Mädchen. Ich konnte mich kaum noch beherrschen, und du weißt ja, wie sehr ich mich all die Jahre beherrscht habe. Aber
     als dieser Bursche auftauchte …«
    »Er ist tot«, erinnerte ihn Regina.
    »Wen hast du damit beauftragt?«
    »Er hat es selbst getan, das habe ich dir doch gesagt! Wenn du mir schon nicht glaubst, dann glaub doch wenigstens dem offiziellen
     Gutachten.« Sie lachte laut auf. »Immerhin hat sich ein Sonderkommando mit der Sache beschäftigt, und es hat eine Obduktion
     gegeben. Hör also endlich auf damit.«
    »Und der Sänger?«
    »Den Sänger haben dieselben Ganoven erledigt, die auf Drossels Geburtstag waren. Wenja, laß diese Gefühlsduseleien. Du bist
     wirklich in schlechter Verfassung.«
    »Sag mir das Schlüsselwort«, bat er sie vorsichtig.
    »Kannst du das nicht allein?« Sie lächelte listig. »Na schön, du sollst deinen Willen haben, legen wir los.«
    Wolkow schloß die Augen und begann sich langsam hinund her zu wiegen, während er mit untergeschlagenen Beinen auf dem Teppich saß. Regina sprach mit tiefer, monotoner Stimme,
     die irgendwo aus ihrem Bauch zu kommen schien:
    »Deine Beine sind weich, schwer, warm, die Muskeln entspannen sich langsam, ganz allmählich, die Arme kühlen ab und werden
     schwer, sie sind warm, aber nicht heiß, die Haut wird glatt, sie ist weich und kühl. Du hörst nichts und fühlst nichts, dir
     ist warm und gut. Es gibt nur meine Stimme, alles andere ist Stille, Ruhe, Nichts. Meine Stimme ist der Weg aus diesem Nichts;
     du gehst diesen Weg, wie auf einem Mondstrahl, zum Licht …«
    Regina sprach immer leiser, Wolkow wiegte sich im Rhythmus ihrer Worte, begann tief und langsam zu atmen.
    »Wenja, hörst du mich?« fragte sie ihn endlich.
    »Ja«, gab er wie ein Echo zurück.
    »Erinnere dich jetzt, vorsichtig, tastend. Übereile dich nicht, und hab keine Angst. Nicht du warst das, dich gab es damals
     gar nicht, du hast nichts zu befürchten. Los!«
    »Drei Menschen am Ufer des Tobol, im Stadtpark«, murmelte Wolkow kaum hörbar. »Ich bin der vierte. Zwei Mädchen, ein blondes
     und ein brünettes. Die Blondine ist sehr attraktiv, hat blaue Augen und ist etwas

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