Die leichten Schritte des Wahnsinns
der großen, schlanken
Frau am Steuer seine Hand. Sie stellte vorsichtig ein Bein im hohen Wildlederstiefel auf die Erde, stützte sich auf den Arm
des Wachtpostens und stieg aus.
»Grüß dich, Gena. Fahr ihn noch nicht in die Garage, ich bleibe nicht lange.«
Während sie das Haus betrat, zog Regina Valentinowna den leichten Nerzmantel aus und warf ihn dem herbeieilenden Hausmädchen
zu. Sie trug ein klassisches Seidenkostüm. Aus dem riesigen Spiegel im antiken schwarzen Holzrahmen blickte ihr eine elegante
Dame von vierzig Jahren entgegen, mit wohlgeformter Figur, langen Beinen und ebenmäßigen Gesichtszügen. Das dichte glatte
Haar von der Farbe reifen Weizens war zu einem schlichten, stirnfreien Pagenkopf geschnitten und bedeckte knapp den schlanken,
gepflegten Hals.
Hinter ihr tauchte das bleiche, etwas verquollene Gesicht eines Mannes im Spiegel auf. Er hatte wirres blondes Haar, auf den
eingefallenen Wangen schimmerten helle Bartstoppeln. Seine blaßblauen Augen blickten sie stumpf undverstört an. Sie drehte sich abrupt um und sah, daß seine Hände heftig zitterten und am Daumen seiner rechten Hand ein häßlicher
Schnitt mit frisch verkrustetem, blutigem Schorf war.
»Du solltest dich rasieren, Wenja«, sagte sie leise, trat auf ihn zu und strich ihm mit der Hand über die Wange.
»Regina, ich gehe zugrunde, ich kann nicht mehr«, flüsterte Wolkow fast schluchzend. »Tu etwas, ich kann nicht mehr.«
Regina blickte sich schnell um und vergewisserte sich, daß niemand vom Hauspersonal in der Nähe war, dann gab sie Wenja eine
kräftige Ohrfeige und sagte leise:
»Schweig, du Miststück!«
Wenja fuhr zusammen und entspannte sich augenblicklich, seine Hände hörten auf zu zittern, in seine Augen trat ein vernünftiger,
jedoch erschrockener und müder Ausdruck.
»Siehst du, man muß etwas tun!« sagte er mit völlig ruhiger, normaler Stimme. »Nicht mehr lange, und ich breche zusammen.«
»Du bist seit vierzehn Jahren gesund. Das ist eine lange Zeit, Wenja, eine sehr lange Zeit.«
Wolkow zeigte ihr schweigend den verletzten Daumen der rechten Hand. Regina betrachtete die mit schwarzer Tinte und Blut befleckte
Fingerkuppe und zuckte die Achseln.
»Das wäre nicht nötig gewesen. Du bist einfach müde. Komm, wir fahren.«
Eine gute Stunde später hielt der blaue Volvo vor einer alten einstöckigen Datscha im Moskauer Vorort Peredelkino. Das Haus
war von einem hohen Metallzaun umgeben, hinter dem Tor stand ein beheiztes Wachhäuschen.
»Der pennt schon wieder, der Halunke«, bemerkte Regina gutmütig und holte die Fernbedienung aus dem Handschuhfach. Ein Knopfdruck,
und das hohe Tor öffnete sich.
Verschlafen streckte der Wachtposten den Kopf aus dem Häuschen, sprang dann wie angestochen heraus und legte nach alter Polizistenmanier
ehrerbietig die Hand an die Mütze.
»Guten Morgen, Herr Hauptmann a. D.!« begrüßte Regina ihn sarkastisch. »Gut geschlafen?«
»Verzeihung, Regina Valentinowna!« Der Wachtposten stand stramm.
»Na, es war ja nicht im Wohnzimmer auf dem Sofa. Du kannst jetzt in die Küche gehen und bei Ljudmila etwas essen. Und trink
Kaffee, damit du nicht im Dienst schläfst, Genosse Hauptmann, sonst bist du die längste Zeit hier gewesen.« Regina wandte
sich an Wenja. »So ein Schweinehund, hat Angst, seine Arbeit zu verlieren, liegt aber auf der faulen Haut.«
Wenja gab keine Antwort und folgte ihr ins Haus.
Diese Datscha hatte früher einem bekannten sowjetischen Schriftsteller gehört, einem Stalinpreisträger. Die Nachkommen des
Ordensträgers hatten sie Wolkow teuer verkauft, aber weder ihm noch Regina tat es um das Geld leid. Regina hatte schon lange
mit diesem Grundstück in dem stillen, elitären Schriftstellerdorf geliebäugelt. Ihr gefiel die Lage am Ende der Straße, ein
malerisches Birkenwäldchen auf der einen Seite und eine kleine Wiese, auf der im Sommer leuchtendgelbe, fröhliche Ranunkeln
blühten, auf der anderen.
»Mach uns was zum Abendessen, Ljudmila«, warf Regina dem molligen rotwangigen Mädchen hin, das ihnen die Tür öffnete. »Aber
etwas Leichtes, Fisch vielleicht, und einen Salat.«
»Gern, Regina Valentinowna, möchten Sie den Fisch überbacken oder gegrillt?«
»Wenja, schläfst du?« Regina berührte ihn an der Schulter. »Wie willst du den Fisch, mit Pilzen überbacken oder gegrillt?«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Also schön, Ljudmila, solange Ihro Gnaden sich noch zieren, mach ihn so, wie
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