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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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mollig. Der Typ, der in Volkstracht mit
     Brot und Salz die hohen Parteibosse begrüßt. Die Brünette ist auch sehr schön, aber auf andere Weise. Bei ihr spürt man Rasse.
     Solche wie sie wurden 1918 allein für ihr Gesicht, für den Schwung ihrer Brauen und den Ausdruck in ihren Augen erschossen.
     Mein Großvater erkannte einen Adligen sofort, an den Händen und am Blick. Die Adligen waren feingliedrig, aber zäh, der Großvater
     hat sie mit dem Säbel erschlagen … Ein schneller, kräftiger Hieb, und er spaltete sie in zwei Teile.«
    »Wenja, komm nicht vom Thema ab, dein roter Kommandeur hat hier nichts zu suchen. Laß den Großvater ruhen«, warf Regina vorsichtig
     ein.
    »Hochmütige Augen«, Wenja ruckte leicht mit dem Kopf, »spöttische dunkelgraue Augen … Zarte Hände, ein langer Hals. Wenn sie
     doch nur … Ich konnte nichts machen. Ich bin aufgestanden und tief in den Park gegangen. Ein angetrunkenes Mädchen in einer
     glänzenden Jacke hatte sich von der Gesellschaft abgesondert. In der Jacke waren Goldfäden, pieksend und glänzend. Ein grobes
     pickliges Gesicht, der Geruch von Wodka und Schweiß … Ich wollte danach in Kleidern in den Tobol springen, ich war mit Blut
     befleckt und stank nach fremdem Schweiß. Das Ufer war zu steil, ich habe nach einer weniger stark abfallenden Stelle gesucht.
     Aber da hörte ich ganz in der Nähe ihre Stimmen. Als erster kam dieser Mitja auf mich zu. Er hat das Blut gesehen, aber vor
     allem hat er mein Gesicht gesehen. Es waren ja erst fünfzehn Minuten vergangen. Meine Seele war immer noch dort, in der Tiefe
     des Parks, das konnte man in meinem Gesicht lesen. Es war schon ganz hell, eine von den kurzen Juninächten, ein heller Morgen,
     die Mücken summten.
    Ich hatte das Blut nicht mehr von den Kleidern waschen können, ich wollte ja, daß sie glaubten, ich sei betrunken in den Fluß
     gefallen. Wir waren alle vier etwas betrunken. Als die Mädchen dazukamen, hatte ich mich schon wieder im Griff, sie haben
     nichts gemerkt. Ich habe gesagt, das Blut kommt aus der Nase, sie sind ganz aufgeregt um mich herumgeschwirrt, sind mir ganz
     nahe gekommen …«
     
    Den ersten Teil der Erinnerungen kannte Regina auswendig. Ihr Mann war sehr beständig in seinen Geständnissen aus dem Unterbewußtsein.
     Seit vielen Jahren war kein einziges Detail zu diesem Text, den er im Zustand eines tiefen Hypnoseschlafs sprach, hinzugekommen.
     Erst kürzlich waren noch einige wesentliche Einzelheiten aufgetaucht.
    »Er hat mein Gesicht gesehen, er hat alles begriffen. Nicht sofort, später.« Wolkows Stimme klang heiser und monoton. »Er
     hat es erraten. Wenn auch erst vierzehn Jahredanach, aber er ist zu mir gekommen, von dort, und wollte mich holen, und nach ihm noch zwei, das bedeutet, sie werden mich
     niemals zur Ruhe kommen lassen.«
    »Es gibt ihn nicht mehr«, sagte Regina sanft, »und die Mädchen haben damals nichts gemerkt und erinnern sich auch heute an
     nichts. Vierzehn Jahre sind vergangen, sie sind erwachsene Frauen, ganz andere Menschen, im Grunde gibt es auch sie nicht
     mehr.«
    »Es gibt sie nicht mehr.«
    Natürlich wäre es besser, wenn es sie wirklich nicht mehr gäbe, und das nicht im übertragenen, sondern im ganz konkreten Sinn,
     dachte Regina. Aber das wäre mit vielen Scherereien und Risiken verbunden, zuerst müßte man wissen, ob sich der Einsatz lohnt.
    »Regina Valentinowna!« Das war die Stimme der Köchin von unten. »Das Abendessen ist fertig!«
    Regina gab keine Antwort, sie wußte, ein zweites Mal würde Ljudmila nicht rufen. So war es im Haus üblich: Wenn die Hausherrin
     nicht sofort herunterkam oder nicht reagierte, bedeutete das, sie war sehr beschäftigt und man durfte sie nicht stören.
    Wolkows Gesicht war dunkelrot angelaufen, auf der Stirn wölbten sich dicke blaue Adern. Sein Atem ging pfeifend, heiser, er
     schlug mit den Armen um sich und murmelte sehr schnell etwas Unverständliches. Hätte ein Außenstehender die Szene beobachtet,
     er hätte geglaubt, der milliardenschwere Produzent winde sich in einem epileptischen Anfall oder im Todeskampf.
    Aber es war kein Außenstehender da. Niemand, weder die Köchin noch der Wachtposten oder der Gärtner, hätte es gewagt, einen
     Blick in das geheimnisvolle Halbdunkel des Arbeitszimmers zu werfen. Jeder ahnte, daß er dafür teuer würde bezahlen müssen,
     und die Furcht war sehr viel größer als die Neugier. Als es schon fast so aussah, als würde Wolkow den Geist aufgeben,

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