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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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den Alpen und die malerische Berglandschaft.
    Niemand, weder die Passanten noch die Inhaber der schmucken kleinen Läden und Cafés, wunderte sich darüber, daß das Gesicht
     der Dame hinter einem dichten Schleier verborgen war: Die reichen Patientinnen der berühmten Klinik waren für die Einheimischen
     gewohnte und willkommene Gäste. Sie verschafften dem kleinen Dorf zusätzliche Einnahmen.
    In den gemütlichen, sauberen Kaffeehäusern und Konditoreien waren für die Patientinnen der Klinik spezielleTische reserviert, die hinter dichten Spitzen- oder Samtvorhängen standen. Dort herrschte ein taktvolles Halbdunkel, und die
     Inhaber wandten höflich den Blick ab.
    Auf ihrem ersten Spaziergang stieß Regina auf eine anmutige kleine lutheranische Kirche und bestellte dort einen Gedächtnisgottesdienst
     für sich selbst, für die unglückliche, häßliche Frau, die hier gestorben war. Ein Kinderchor sang das Requiem so lieblich
     und traurig, daß Regina, die in der halbleeren Kirche stand, unter ihrem dichten Schleier fast geweint hätte. Aber sie beherrschte
     sich – die Operationsnähte waren noch nicht verheilt, es wäre zu gefährlich gewesen.
    Jetzt aber konnte sie nach Herzenslust weinen und lachen. Sie sah nicht älter aus als vierzig, und damit war sie vollauf zufrieden.
     So würde sie noch zehn, fünfzehn Jahre aussehen, und dann konnte sie wieder in die Schweizer Alpen fahren.

Kapitel 11
    Katja vertrug Kälte nur schlecht, und in der letzten Zeit fror sie ständig. Seit sie von Mitjas Beisetzung zurückgekehrt war,
     ging sie nicht mehr aus dem Haus. Es kam sie auch niemand besuchen, niemand rief sie an. Man vergaß sie, als sei sie zusammen
     mit Mitja gestorben. Katja versuchte, nicht daran zu denken, daß keine Kopeke mehr im Haus war, daß die Ampullen zu Ende gingen
     und sie keine neuen würde kaufen können. Einen Tag wollte sie sich noch mit Tabletten behelfen. Oder sollte sie sich gleich
     alle Ampullen auf einmal spritzen und die restlichen Tabletten, in medizinischem Alkohol aufgelöst, schlucken? In der Anrichte
     mußte noch eine Flasche stehen. Das wäre ein leichter und angenehmer Tod, viel angenehmer als der, den Mitja gewählt hatte.
    Plötzlich schoß ihr durch den Kopf, daß Mitja die Drogenso gehaßt haben mußte, daß ihm sogar der Strick lieber gewesen war. Warum hatten die Bullen und die Ärzte dann trotzdem behauptet,
     er sei im Drogenrausch gewesen? Und die Kratzer auf seiner Hand … Bis zu dieser Minute hatte Katja darüber nicht nachdenken
     wollen. Jeder Gedanke an Mitja verursachte ihr physischen Schmerz. Ihr wurde schwindlig, in den Ohren rauschte es, sie wollte
     nur noch rasch spritzen und alles vergessen.
    Es war schon Abend, und ihr fiel ein, daß sie seit dem Vortag nichts mehr gegessen hatte. Sie mußte aufstehen und wenigstens
     etwas heißen Tee trinken. Viel lieber wäre sie unter der Decke liegengeblieben, aber ihr war vor Hunger schon ganz übel, der
     Magen krampfte sich in dumpfem Schmerz zusammen. Sie zog Mitjas Jeansjacke über das Nachthemd und ging in die Küche.
    Bis das Wasser kochte, saß sie bewegungslos auf dem Hocker und starrte auf die Türöffnung. Wieder erschienen vor ihren Augen
     Mitjas nackte Beine, der lange große Körper, das seltsam ruhige, gleichsam entrückte Gesicht.
    Katja griff in die Tasche der Jeansjacke und ertastete eine Schachtel Zigaretten. Sie zog sie heraus – es war eine Packung
     »Kent«. Die Hälfte hatte Mitja noch aufgeraucht. Gleichzeitig fiel ein zusammengeknülltes Stück Papier aus der Tasche. Katja
     hob es auf und faltete es auseinander. Es war ein Blatt von einem Notizkalender, an zwei Stellen eingerissen. Ein paar Zeilen,
     in Mitjas fliegender Handschrift geschrieben, waren kreuz und quer durchgestrichen. So sahen oft seine Liedertexte aus. Aber
     das hier waren keine Lieder.
    Katja strich das Blatt auf dem Küchentisch glatt, zündete sich eine Zigarette an und begann zu lesen:
    »1. Herausfinden, was mit dem Kommissar passiert ist (evtl. bei der Poljanskaja?).
    2. Zeitungen (lokale?).
    3. Psychiatrie.
    Du bist verrückt, die murksen dich in aller Stille ab, und gute Nacht. Aber ich kann damit doch nicht zum Staatsanwalt gehen.
     14 Jahre!«
    Der Teekessel pfiff verzweifelt. Katja stellte das Gas ab, goß sich mechanisch Tee in Mitjas Lieblingstasse, tat Zucker hinein,
     rührte um und nahm einen großen Schluck. Dann drückte sie die Zigarette aus und steckte sich sofort eine neue an.
    »Vielleicht haben

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